Deutschboden
entlanggegangen.
»Da hat der Kachelofen gestanden.«
»Watt quatschst du’n da …«
»Na, weil der scheiß Kachelofen da jestanden hat.«
»Quatsch, Schmidti.«
»Watt denn? Keen Kachelofen?«
»Da stand kein Kachelofen, Schmidti, nie.«
»Sicher?«
»Mensch. Schmidti.«
»Hauptsache, du weißt, wo der scheiß Kachelofen jestanden hat, du Quatschkopp, du Jurke, du!« Freude an der gemeinsamen Erinnerung. Hansi bediente – wie schön war das denn? – in Puschen: schwarze Filzschuhe mit flacher Ledersohle. Da schlurften die Hansi-Puschen über die Schröder-Fußböden.
Für die Dinge, die er jeden Morgen auf die Tische stellte, hatte Hansi sich eine spezielle Niedlichkeits-Sprache zugelegt: Besteck hieß Werkzeug, Salz und Pfeffer hießen Bestreuung.
Hansi zum Reporter: »So. Ein Wässerchen, Pöttchen Kaffee. Und einmal Werkzeug für die Eierei.«
Drei Omas mit dünnem Krausehaar, gerade durch den Windfang ins Lokal getreten, begrüßte Hansi mit »Na, Mädels?« Die Omas setzten sich. Da beugte sich Hansi zu einem der Om’chen nach unten, ergriff ihre Hand und kümmerte sich um sie – mit dem wirklich herzbrecherischen Charme der Schröder-Familie: »Na, Häschen? Warum hast du denn so eine kalte Hand? Du bist doch erst siebzig. Da muss die Hand noch warm sein.«
Ein grinsender Hansi, drei selige Omas.
Ich wollte Raoul sehen – ihn zur schönen Mittagszeit gegen zwölf bei ihm in seiner Wohnung, die im ersten Stock über der Gaststätte Schröder lag, besuchen. Vielleicht auf ein Stündchen. So einen Besuch, dachte der Reporter, den durfte man nicht großartig ankündigen. Da rief man, unten stehend, einfach oben an.
»Tachchen.«
»Raoul, was ist? Kann ich raufkommen?«
»Jetzt?«
»Genau, jetzt. Ich stehe unten. Gleich hier unten vor Schröder.«
Er klang überrascht.
»Komm hoch. Trinken wir ein Käffchen zusammen.«
»Was machst du gerade?«
»Nüscht weiter. Bin gerade aufgestanden …«
Ich hörte Raoul durch seine Wohnung laufen. Er wollte noch etwas sagen. Er zögerte.
»Ich bastle gerade die Duplo-Blume.«
Er bastelte?
Watt?
Eine Blume?
Raoul: »Die Duplo-Blume. Kennst du gar nicht? Die Faltanleitung habe ich mir gerade aus dem Internet geladen. Ist geil geworden.«
In Raouls Wohnung gelangte man über den Hof der Gaststätte, vorbei an Geranienkübeln, Fahrrädern.
Er saß auf einer gelben Veloursleder-Couch-Landschaft; vor sich ein aufgeklappter Laptop. Raoul trug T-Shirt, Jeans, Socken, die Kappe, die er immer auf dem Kopf hatte. Beide Hände lagen auf der Tastatur seines Computers, er sah auf den Bildschirm, hob, als ich eintrat, eine Hand, ohne dabei den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
»Tachchen. Allet schick?«
Ich war gleich noch einmal erschrocken über den komplett zutätowierten linken Arm. Auf dem Couchtisch lagen das Päckchen mit den Menthol-Zigaretten von West Ice und die gerade gebastelte Duplo-Blume: klein, bunt, zerrupft, hübsch anzusehen. Auf dem Plasmabildschirm hinter dem Couchtisch lief Pro7.
Zwei Zimmer, das eine mit Einbauküche, Flur, Bad. Raouls Wohnung sah wie die irgendwie dufte, nicht unkomfortable Bude eines jungen Bausparers in der Werbung aus. Man konnte sich auch an eines dieser akkuraten und neumodischen Hotelzimmer in Landgasthöfen erinnert fühlen: Laminatböden, Raufaser, schräge Wände,
neue Fenster. Viel Beige, viel Holz. Alles frisch renoviert, blitzblank sauber, ordentlich und aufgeräumt. Noch im Eingang zog der Besucher, ganz automatisch, die Schuhe aus.
Gleich neben der Wohnungstür stand der Baseballschläger. Im Wohnzimmer: Fernseher und Playstation. Pflanzentöpfe neben Musikanlage und E-Gitarren auf dem Teppich. Über dem Sofa ein Erotikposter. Im Gebälk über der Küchenzeile waren ganze Bataillone von Alkohol aufgebaut, die Hausbar: Saurer Apfel, Saure Kirsche, Amaretto, Wodka Rachmaninoff, Wodka Puschkin, Grüneberger Goldbrand, Ballantines, Schwarze Johannisbeere, Cantori, Batida de Coco, Kentucky Highway, Nordhäuser Korn, Goldkrone.
Raoul saß noch immer da und starrte in den Computer. Und der Reporter verstand, während er auf dem Teppich herumstand und die Namen der Schnapssorten von Raouls Hausbar in den Olympus-Stift diktierte, dass dieser Raoul die Präsidenten-Suite von Oberhavel bewohnte: Licht von drei Seiten. Durch die Fenster hatte man das ganze Zentrum von Oberhavel im Blick, links die Spandauer Straße mit dem Sonnenstudio Karibik, in der Mitte den Marktplatz, rechts den
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