Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
Scheiß.«
    Die Gags, die nun gerissen wurden, waren tatsächlich eher die von 12-Jährigen als die von 21-Jährigen:
    Kessel zeigte auf das Schild »Süper Wäsh«, das die Gang mit je zwei Pünktchen korrigiert hatte, und schlug vor, das Spiel mit den anderen Leuchtkästen fortzusetzen: Der Autofahrer, der bei der Aral-Tankstelle von Oberhavel einbiege, lese dann »Süper Böx«. Und »Äräl. Älles süper«. Das wolle man demnächst mal in Angriff nehmen. Große Zufriedenheit allerseits. Gelächter.
     
    Marcin, dessen Gags stets den möglichst direkten sexuellen Ausdruck suchten, spielte mit den Schläuchen an der Luft-Wasser-Station herum. Er hielt sich das Luftventil von hinten zwischen die Beine, bediente den Luftzustrom und kommentierte, was, ehrlich gesagt, auch schon wieder ziemlich lustig war: »Ist geil. Werden die Arme voll dick.«
    Dann fuhr die Polizei vorbei, und Marcin knatterte eine neue Wortsalve heraus: »Polizei. Die Penisköppe. Die haben eine richtige Macke, die sind total besengt hier. Du fährst in jeder anderen Stadt, da drehen die nicht um, wenn sie ein tiefergelegtes Auto sehen. Aber hier, Alter: Da setzen sie gleich das Blaulicht drauf, sobald sie ein Auto sehen, das bisschen hoppeln kann. Die Affen.«
    André hatte das Spuck-Ding zu laufen. Er ließ, mit großerSorgfalt und großem Ernst, einen Tropfen Spucke auf den Rost im Tankstellen-Boden fallen.
    Wahnsinn, dachte der Reporter: Da stand er, mein Spuckefaden-Hero, um den es mir ganz zu Anfang der Reise gegangen war, ja, wegen dem ich die Reise doch überhaupt erst angetreten hatte.
    Guten Abend. Verehrung.
     
    Und dann tat sich wieder etwas.
    Um Punkt elf wurde die Tür des Kassenhauses von innen abgeschlossen. Der Leuchtkasten »Nachtschalter« sprang an.
    Als sei dies ein Zeichen, das in jede Straße der Kleinstadt gesendet wurde, trafen im Minutentakt immer neue Autos ein. Wir waren, gegen 17 Uhr, an die zwanzig Mann gewesen; dann, gegen 21 Uhr; an die zehn. Nun, nach 23 Uhr, mit Öffnen des Nachtschalters, wurden es schnell an die dreißig, vierzig, die um ihre Autos herumstanden. Auf zur letzten Runde an der Tankstelle: Nachtleben bei Aral.
    Es nahm die Versammlung das Aussehen eines Picknicks an, eines Grillfestes, Sommerlagers am See – bloß fand diese Party eben nicht am See, sondern auf der Tankstelle statt. Auf den Pflastersteinen vor der Luft-Wasser-Station wurden Bast-Rollos ausgebreitet, je drei Jungs saßen auf einer Matte, Bierflasche, Zigarette in den Händen, der Rest hockte auf den Steinen oder stand daneben. Einer ließ die Tür seines Wagens offen stehen und Musik laufen.
    Radeberger Pilsner.
    Hasseröder.
    Becks Green Lemon.
    Lutscher.
    Pappbecher.
    Wodka Cola.
     
    Zwei Frauen, die noch mal anders gut aussahen, wurden auf den Bastmatten gesehen. Da saß auch eine sehr ansehnliche mit langen Beinen in einer weißen Jeans.
    Ein Vergnügen sah so aus, dass es natürlich immer wieder zu freundschaftlich gemeinten Schubsereien und Hauereien kam: Nur Raoul, das fiel auf, schien sich an diesen Revierkämpfen unter den Jungs nicht zu beteiligen. Eric, so merkte ich, sagte eigentlich immer nur dieselben zwei Wörter, »Halt’s Maul«, wobei er die Verbindlichkeit, mit der er diese Worte sprach, genau dosieren konnte. Es gab das kumpelhafte und das zurückweisende »Halt’s Maul«. Die Lautstärke der Gags erhöhte sich. Wer jetzt, im Gewurl der Stimmen, Musik und gegeneinanderstoßenden Bierflaschen, noch gehört werden wollte, der musste brüllen.
    Autos, die auf der Tankstelle eintrafen, wurden – ganz gleich, ob Kumpel oder Unbekannter – mit dem immer selben Schlachtruf aus dreißig Junge-Männer-Kehlen empfangen: »Schwul!«
    Zusatzruf, meistens kam der von Marcin: »Lass die Kupplung springen, Dummkopf.«
     
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich reagierte hätte, wäre ich ein unbescholtener Bürger gewesen, der seinen Wagen in dieser Sonntagnacht an die Aral-Tankstelle in Oberhavel gelenkt hätte, und da stünde eine Horde Jungs mit Bierflaschen und brüllte »Schwul«. Keine Frage, ich wäre besser nicht ausgestiegen. Ich hätte die nächste Tankstelle genommen.
    Immer wieder fand sich das Sitzen, Schieben und Schubsen, das Hinsetzen und Aufspringen zu Formationen zusammen, die aussahen, wie von einem unsichtbaren Tankstellen-Regisseur choreografiert. Den armen Polizei-wagen, der noch ein drittes Mal vorbeikroch, begrüßte der Chor mit einem Fußballgesang: »Blauweißer Partybus! Schananana!« Dann

Weitere Kostenlose Bücher