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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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dumme Sprüche und fuhren wieder ab. Die drei Abschiedsfloskeln, die möglich waren, hießen: »Hau rinn.« Gesteigert: »Rinnejehau’n.« Und in der zweiten Steigerung: »Rinnejehau’n und abjefahr’n.«
     
    Eine Kunst für sich war natürlich die Abfahrt von der Tankstelle. Man konnte es mit schreienden Reifen und mit schrei-kreisch-jaulenden Reifen tun. Und man konnte so tun, als lasse man den lautstarken Abschied ausfallen, um dann, auf den letzten Metern der Tankstelle, die Reifen umso bestialisch lauter schreien zu lassen. Bloß einfach abfahren von der Tankstelle, das ging nicht.
     
    Jedes Auto, das die Tankstelle befuhr, wurde, sofern es nicht auf Anhieb einem Halter zuzuordnen war, mit einem Spruch kommentiert, so wie überhaupt jede Bewegung auf der Tankstelle genau registriert wurde. Ein Typ mit »Ost-Berlin« auf dem T-Shirt, das »Ost« in Runenschrift geschrieben, führte seine Braut quer über die Tankstelle zum Kassenhäuschen. Sie hatte einen steilen Busen. IhrBusen wurde unter den Jungs kommentiert, sein T-Shirt nicht.
     
    Raoul erzählte bald diese, bald jene Geschichte. Raoul zitierte aus Fernsehserien. Und immer wieder erzählte Raoul Witze: »Bruder fickt mit seiner Schwester. Schwester: Pappi fickt aber besser als du. Bruder: Hat Mammi auch gesagt.« Wie in der Gaststätte Schröder, im Proberaum, bei jeder Autofahrt und jeder Ansammlung, bei der mehr als drei Leute zusammenkamen, herrschte auch auf der Aral-Tankstelle Witzzwang. Eine Wortmeldung, an deren Ende nicht laut wiehernd gelacht werden konnte, musste auch hier als durchgefallen gelten.
    Der Reporter stand dazwischen, Hut auf dem Kopf, das Aufnahmegerät von Olympus in der Hand, und versuchte, möglichst viel von den Geschichten und Gags, die zwischen den Autos und den Jungs hin- und herflogen, mitzukriegen.
     
    Immer wieder kam es vor, dass einer der Jungs einen offensichtlich superlustigen Vortrag hielt, von dem der Reporter kein Wort verstand – so beinhart und schnell war das Brandenburgisch, das die Jungs sprachen. Der Reporter musste dann zu einem der Jungs hintreten und sich die Geschichte, die gerade für Fröhlichkeit gesorgt hatte, übersetzen lassen. Meistens waren Raoul oder Eric so freundlich und taten dem Reporter den Gefallen.
     
    Und immer wieder trat einer der Jungs zum Reporter hin und stellte die naheliegenden Fragen: Wer ich eigentlich sei; was ich hier wolle; ob das ein Aufnahmegerät sei.
    Ich zeigte dann auf Raoul und Eric, erklärte, dass ich zu diesen Jungs gehörte und dass ich alles, alles aufzeichnete oder in mein Notizbuch schrieb, weil ich der Reporter sei und an einem Buch über die Kleinstadt arbeitete. Wow, sagten dann die Jungs. Ob sie da auch in dem Buch vorkämen?
    Und ich erklärte dann: Ja, und dass jeder, also auch der, der da gerade vor mir stünde, in dem Buch vorkäme – so wie überhaupt jeder und alles in dem Buch vorkäme, die Jungs, die Tankstelle, die Gaststätte Schröder, Franky’s Place, die Eiche, Spandauer Straße, der Marktplatz, alles.
    Die Jungs waren erstaunt; und dann freuten sie sich. Die Mehrzahl der Jungs bei Aral aber, so stellte sich heraus, war von Raoul auf mich vorbereitet worden: der Typ aus Berlin; schreibt; stellt Fragen; seid ein bisschen nett zu dem.
     
    Es wurde dem Reporter ein Typ namens Popper vorgestellt. Er trug ein riesiges T-Shirt der amerikanischen Basketballmannschaft LA – Lakers und eine Kappe über einem Kopftuch, so wie es der Rapper 50 Cent in seinen Videos vorgeführt hatte: Hip-Hop-Style. Popper arbeitete bei der Bäckerei Kindler auf der Spandauer Straße, weshalb sich sein Tag-Nacht-Rhythmus dramatisch von dem der anderen Jungs unterschied. Unter der Woche musste er von zwei Uhr nachts bis acht in der Früh Brötchen backen. Auffällig war Poppers hohe Stimme, die so überhaupt nicht zu seinem bösen Äußeren passen wollte.
    Raoul über Popper: »Er ist unser Bester.«
    Eric: »Popper ist ein Vollidiot, aber das ist egal, ist ja auch nicht böse gemeint, wir sind ja alle Idioten. Wir haben ihn immer gerne dabei, er ist ein Freund.«
     
    Es war ein herrlich aussehender Kerl namens Marcin dran.
    Wie?
    Noch mal der Name, bitte?
    »Marcin. M-A-R-C-I-N. Polnischer Name – richtig, meine Familie kommt aus Polen.«
    Und der, der einen polnischen Namen trug, unterbrach sich, um einen Gag zu setzen: »Polen, weeßte, ditt is ditt Land, wo immer so viel geklaut wird und das Benzin so billig ist.«
    Er war einer der beiden Jungs mit

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