Deutsche Geschichte Von 1815-1870
vierte Frage: »Was bleibt den Ständen zu thun übrig«, hatte nur drei Zeilen zur Antwort, die aber ihre gewaltige Wirkung nicht verfehlten: »Sie haben das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes
Recht
in Anspruch zu nehmen!« –
Die Schrift erschien anonym, war aber gleichzeitig am selben Tage in ganz Preußen verbreitet, und darum schon in allen Händen und von Tausenden gelesen, als die Berliner Polizei zuerst davon erfuhr. Man zerbrach sich den Kopf, wer der Verfasser sein möge, bis endlich der König selbst das Räthsel löste; Jacoby hatte ihm seine Schrift geschickt und sich ihm genannt, die wenig edle Antwort auf diese Gradheit war eine Criminaluntersuchung gegen Jacoby. Er wurde des Hochverraths angeklagt und die vier Fragen nicht allein in Preußen, sondern auch in ganz Deutschland verboten. Die Gerichte von Königsberg und Berlin schoben sich gegenseitig die Untersuchung zu, weil Keiner sie führen wollte, endlich nahm sie das Berliner Kammergericht auf, während in ganz Deutschland Geld gesammelt wurde, um Jacoby eine Bürgerkrone anzubieten. Darauf hin zog man auch die Beitraggebenden in Untersuchung, bis endlich das gefügige Kammergericht Jacoby so sehr gegen alles Recht verurtheilte, daß das Obertribunal das Urtheil nicht zu bestätigen vermochte, sondern 1843, so lange zog sich der Proceß hinaus, den Angeklagten freisprach. Diese Dinge hatten wieder Aller Blicke auf Preußen gezogen, wo sich jetzt ein feiles
Beamtenthum
, ein ganz
verstockter Adel
und eine ebenso
verstockte Hierarchie
, eine
katholische
wie eine
protestantische
, unter dem Schutze eines
Königs
, den die ausschweifendsten Ideen von seiner Macht und seinem Rechte mehr und mehr beherrschten, zu einer Phalanx zusammenschlossen, die den erbittersten Kampf eines
fortschrittlichen Adels
, eines
unabhängigen Beamtenthums
, einer
aufgeklärten Theologie
, gegen sie ins Feld riefen, ungerechnet derjenigen, die ja schon lange auf der liberalen Seite gestanden hatten. – – Ein Anlaß sich gegenseitig zu messen wurde bald gegeben durch die Schwäche und Nachgiebigkeit der preußischen Regierung gegenüber den Anmaßungen der katholischen Bischöfe, welche noch durch die Erlaubniß, daß die Schüler der Jesuiten nach Preußen zurückkehren durften, bestärkt wurden. Frohlockend glaubte nun die orthodoxe Partei ähnliche Dinge wagen zu dürfen, wie man es früher in Frankreich gesehen.
Mit Staunen, Spott und Verwunderung las man eines Tages in den Blättern, daß der Hochwürdige Bischof
Arnoldi von Trier
befohlen habe, eine der wunderthätigsten Reliquien der katholischen Kirche, den
heiligen Rock Christi
am 18. August 1844 öffentlich auszustellen.
Katholische Professoren und Kapläne setzten ihre Feder in Bewegung, um den Rock zu beschreiben und dessen wunderthätige Kräfte anzupreisen; seine merkwürdigste Eigenschaft war wohl ohne Zweifel diese, daß der ungenähte Rock, den Maria ihrem Sohne als er ein Kind war, gesponnen und gewebt, mit ihm
gewachsen
sein sollte. »Führwahr«, so sagte Arnoldi's Kaplan, »ein Kleinod, das man kaum ohne Andachtszähren anschauen kann!«
Im 12. Jahrhunderte war der wunderthätige Rock zum ersten Male ausgestellt gewesen, dann lange nicht mehr, bis es 1512 auf Verlangen von Papst Leo X. geschah, demselben, der ja bekanntlich auf jede Weise Geld für den Bau seiner
Peterskirche
in Rom zu sammeln suchte und der durch seinen, zu gleichem Zwecke organisirten Ablaßhandel in Deutschland, Luthern zuerst veranlaßte, sich gegen Rom zu empören. Schon damals war mit der Ausstellung des Rockes und der Wallfahrt dahin ein vollständiger Ablaß der Sünden verbunden, und dies zeigte sich als so ergiebig, daß er von da an noch öfter erschien, wenn sich die Kirche in Geldverlegenheit befand. Zum letzten Male war er 1810 ausgestellt gewesen. Die Franzosen hatten ihn weggeraubt und nach Augsburg gebracht. Auf Befehl Napoleon's jedoch kehrte er nach Trier zurück und zeigte sich bei dieser Gelegenheit noch einmal öffentlich, bis man dann, zum Hohne des Jahrhunderts, im Jahre 1844 eine neue Komödie mit ihm veranstaltete. Es war so glücklich vorgearbeitet, daß schon in den ersten acht Tagen 150,000 Wallfahrer nach Trier kamen, um den Rock zu sehen. Mit Tagesgrauen bildeten die frommen Neugierigen eine lange Reihe vor der Kirche, durch die sich dann täglich 12 Stunden lang unausgesetzt ein Menschenstrom ergoß. Vor dem Glasschrein angelangt, der das heilige Kleidungsstück barg,
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