Deutsche Geschichte Von 1815-1870
murmelte der Andächtige ein kurzes Gebet, ein bereitstehender Priester nahm die Gegenstände, die der Beter zur Weihung mitgebracht, – Rosenkränze, Ablaßzettel, Amulette, Wachskerzen u.s.w. ab und rieb sie einen Moment an dem Glas des Schreines, dann ging es an der andern Seite zu der Kirche wieder hinaus. Vom 18. August bis 7. October waren ungefähr 12,000,000 Menschen nach Trier gekommen, freilich nicht alle Gläubige, sondern auch Viele darunter, welche das Schauspiel mit ansehen und sich darüber spottend oder entrüstet äußern wollten. – Vor der Kirche standen reihenweise Buden mit Ablaßzetteln, Rosenkränzen, abscheulichen Abbildungen des Rockes und ähnlichen Gegenständen, die rasend verkauft wurden und eine ungeheuere Einnahme bildeten. Ja, man ließ diese werthlosen Gegenstände massenhaft auf die oben beschriebene Weise weihen und verkaufte sie dann an Solche, die nicht selbst kommen konnten; bis nach Paris hin wurde ein lebhafter Handel damit getrieben. An Opfergeld allein gingen außerdem nahe an 100,000 Thaler ein, und als nun gar der Rock noch anfing alle möglichen Wunder zu verrichten, Lahme heilte, Blinde sehend und Stumme sprechend machte, da erreichte der Wahnsinn den höchsten Grad. Auf den Knieen lagen die Leute und flehten: »Heiliger Rock, bitt' für uns!« was zuletzt selbst den Pfaffen zu stark wurde; sie erklärten in den öffentlichen Blättern, nicht der Rock, sondern der heilige Rochus sei damit gemeint gewesen. Aber nicht das geringe Volk allein, auch die Vornehmsten betheiligten sich an der Tollheit, namentlich als es hieß, der Rock habe eine wunderbare Heilung an der jungen Gräfin Droste-Vischering, aus einer der ersten Adelsfamilien Westphalens vollbracht. Sie sei auf Krücken zu dem Rocke gekommen, nach inbrünstigem Gebete aber mit heilen Füßen wieder davon gegangen und. wie es in einem Spottliede aus jener Zeit hieß: »Die Gräfin Droste-Vischering noch selbigen Tags zum Tanze ging!« vollständig genesen. Leider blieben der Armen, die im Momente höchsten Aufregung, vielleicht für ein paar kurze Minuten ihre Kraft wieder gewonnen hatte, die Krücken nach wie vor.
Durch die gesammte Presse aber tönte jetzt ein Schrei der Entrüstung, der um so mehr gerechtfertigt erschien, als die Wallfahrten nach Trier eine grenzenlose Unsittlichkeit in ihrem Gefolge hatten. Gleichzeitig trat ein französischer Bischof auf, und erklärte, der Trierer Rock sei unächt, in
Argenteuil
müsse man den ächten Rock Christi suchen; inzwischen hatten zwei junge Marburger Professoren,
Sybel
und
Gildemeister
, eine Broschüre verfaßt, in der sie mit schlagender Sicherheit nachwiesen, daß Alles, was man in Trier ausgedacht, Schwindel und Betrug sei, indem 20 solcher Röcke Christi existirten, die alle den gleichen Anspruch auf ihren göttlichen Ursprung erhüben. Dabei wurde sehr nachdrücklich hervorgehoben, welch' großes Unrecht es sei, den Rock, wenn er wirklich Wunder wirke, wieder einschließen zu wollen, daß man ein solches Heilmittel der Welt nicht mehr vorenthalten dürfe. – Mit höchster Spannung wurde diese Schrift gelesen und verbreitet, und voll Widerwillen wendeten sich alle verständigen Katholiken von dem Treiben in Trier ab; es konnte darum nicht fehlen, daß ein wahrer Sturm des Enthusiasmus ausbrach, als nun aus deren Mitte die Stimme eines jungen, freilich abgesetzten Priesters ertönte, der durch einen offenen Brief an den Bischof Arnoldi von Trier, welcher am 1. October 1844 in den sächsischen Vaterlandsblättern erschien, der allgemeinen Stimmung Ausdruck gab. Man muß es selbst erlebt haben, welche Wirkung die schneidende Sprache dieses Schreibens hervorrief, welches den Bischof Arnoldi offen des wissentlichen Betruges anklagte und alle Folgen eines solchen Rückschritts in die finstersten Zeiten des Mittelalters, auf dessen Seele und Verantwortung legte. Mit bitteren Worten wird ihm vorgehalten, wie er die Armuth und Noth des Volkes nicht achtend, ihm durch solche Täuschung den letzten Heller abpresse, wie er die Sittlichkeit nach jeder Richtung hin untergrabe. »Schon ergreift«, so ruft der Schreiber aus, »schon ergreift der Geschichtsschreiber den Griffel und übergiebt Ihren Namen, Bischof Arnoldi, der Verachtung der Mit- und Nachwelt und bezeichnet Sie als den
Tetzel
des 19. Jahrhunderts!« Am Schlusse wendet sich das Schreiben an die Amtsbrüder des Verfassers und mahnt sie, zu zeigen, daß sie Christi Geist und nicht seinen Rock geerbt
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