Deutsche Geschichte Von 1815-1870
sich Alles nach den Nationalwerkstätten, so daß bereits bis Mitte Mai die Zahl derer, die dort ihren bequemen Unterhalt suchten, auf 120,000 gestiegen war. Man suchte sich dieser tumultuarischen Menge wieder zu entledigen und für dieselben Ackerbaucolonien in uncultivirten Landstrichen, namentlich in der Gironde zu begründen, mit in der Absicht, sie dadurch aus Paris zu entfernen und zugleich eine Arbeit vollziehen zu lassen, die dem Staate wieder etwas eintrug. Die Werkstätten wurden aufgelöst und den Arbeitern aus den Departements aufgegeben, dahin zurückzukehren, aber so schnell ließen sich die Mitspieler des total verunglückten Experiments nicht wieder in die früheren Zustände zurückweisen. Eine Hauptfolge der nun erwachsenden Aufregung war der schreckliche Pariser
Juniaufstand
von 1848, ein Vorläufer der Pariser Commune von 1871. Unter dem Ruf: Arbeit! in Paris bleiben! zogen die aufständischen Arbeiter mit rothen Fahnen durch die Straßen, man proclamirte die rothe oder demokratische Republik und ließ dabei Louis Napoleon hoch leben, was den Gedanken nahe legt, daß seine Anhänger bereits hier die Hand im Spiele hatten. Ein furchtbarer Straßenkampf brach aus, der drei volle Tage dauerte, und reich an Gräueln jeder Art war. Er endigte damit, daß General Cavaignac, der als Oberbefehlshaber der Truppen die Junirevolution niederwarf, am 28. Juni zum »Haupt der vollziehenden Gewalt und Präsidenten des Ministerraths« ernannt wurde. Es war dies wieder der erste Schritt zu einer Militärdictatur, auch in Frankreich, und bald von dem schlauen und verwegenen Louis Napoleon für seine eigenen Zwecke so rücksichtslos benutzt, daß er der glückliche Erbe der Februarrevolution wurde, und auf ihren Trümmern das zweite
empire
gründete.
Die hier geschilderten Vorgänge mußten naturgemäß auf Deutschland und auf dessen Arbeiterkreise um so mehr zurückwirken, als der materielle Zustand des Volkes sich unter den schwankenden Verhältnissen des Revolutionsjahres immer unerquicklicher gestaltete, und der unbeschäftigte, wie der nur halb gesättigte Arbeiter, fortwährend zu Excessen und Tumulten jeder Art geneigt war. Preußen, als der Staat, in dem sich verhältnißmäßig die Industrie am weitesten entwickelt hatte, mußte unter solchen Kundgebungen am meisten leiden, und sie bestärkten die Reaction in ihrer Ansicht, daß allen diesen Ausbrüchen nur Aufstachelung und Böswilligkeit, nicht oft wirkliche Noth zu Grunde liege. Anstatt also das Uebel näher zu untersuchen und Mittel zu dessen Abhülfe zu finden, glaubte man sich vollkommen dazu berechtigt, mit der äußersten Gewalt dagegen aufzutreten. Nach der andern Seite hin schärfte sich der Gegensatz ganz eben so spitz zu; es bildeten sich aller Orten
demokratische Vereine
und Gesellschaften, die den ausgesprochenen Zweck hatten, über die Ausführung der verheißenen Freiheiten eifersüchtig zu wachen und die Massen dafür in Athem zu erhalten. Zwischen diesen beiden Extremen stand, von Tag zu Tag rath- und hülfloser, die constitutionelle Parthei, die von vornherein jede andere Waffe, als die des parlamentarischen Wortes verschmäht hatte, und nun immer mehr inne werden mußte, wie sie nur in den Wind sprach und einzig die Luft erschütterte.
Unter solchen Stimmungen und Verhältnissen war am 22. Mai in Berlin die Nationalversammlung durch den König in Person eröffnet und ihr zur Berathung ein freiheitlicher Verfassungsentwurf vorgelegt worden. Kurz darnach kam der Prinz von Preußen aus seinem Exil in London zurück, amnestirt durch eine Wahl als Abgeordneter, die man in kluger Weise für ihn arrangirt, und wodurch nun seine Person unverletzlich wurde. Zum Unglück erhob jetzt aber auch die specifische Preußenparthei wieder mehr und mehr das Haupt.
Daß man die Huldigung der Truppen für den Reichsverweser ablehnte, habe ich bereits mitgetheilt und im Einklang damit verdrängte auch die preußische Fahne immer mehr bei festlichen und officiellen Gelegenheiten die deutschen Farben. Es bildete sich der bekannte
Preußenverein
und bald hörte man aus allen Kasernen jenes Lied ertönen, welches nachher noch so oft das übrige Deutschland in Zorn und Entrüstung versetzte, das jetzt aber seinen Stachel verloren hat: »Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben? u.s.w.« Diese Preußenparthei fand ihre mächtigste Vertretung in einem besonders für sie begründeten Organ, der berühmten und berüchtigten Kreuzzeitung, die mit großem
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