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Deutsche Geschichte

Deutsche Geschichte

Titel: Deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Beduerftig
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„gängeln“ lassen wollte. Die sachlichen Differenzen, die er dafür etwa in der Arbeiterfrage aufbaute, wären sonst leicht zu überbrücken gewesen. Und selbst die Niederlage der Bismarck stützenden Parteien bei den Reichstagswahlen am 20.2.1890 schuf keine dramatisch neue Situation. Die Chemie aber stimmte einfach nicht; Bismarck konnte „Gängelei“ noch weniger hinnehmen. Dennoch formulierte er sein Abschiedsgesuch am 18.3.1890 so, dass dem Kaiser möglichst keine Gründe für die Annahme blieben. Vor allem gesundheitlichen Argumenten baute er vor. Dass diese dann doch offiziell für die Entlassung des Kanzlers am 20.3. angeführt wurden, erboste Bismarck besonders. Für den Kaiser war das relativ risikolos, er untersagte eine Veröffentlichung des Abschiedsgesuchs und erging sich in peinlichen Lobhudeleien für den Davongejagten.
Kein „Augenmaß“
    Der Bruch war nicht mehr zu kitten. Das Entwürdigende seiner Abhalfterung verwand Bismarck nie, und noch tiefer traf ihn, dass er noch jahrelang mit ansehen musste wie der „junge Herr“ zu einer „Weltpolitik“ überging, die in Bismarcks Augen geradewegs ins Verderben führen musste. „Kein Augenmaß“ war seine Formel für diesen politischen Dilettantismus. Dass er sich so ungehindert austoben durfte, daran freilich war der Eiserne Reichsgründer nicht unschuldig: Sein halbfeudal verfasstes Staatsgebilde wurde mangels konstitutioneller Sicherungen zur Beute eines monarchischen Phantasten.

„Der Lotse geht von Bord“ (nicht ganz zutreffende Übersetzung des englischen Titels: „Dropping the Pilot“), Karikatur von Sir John Tenniel (1820-1914) in der englischen Satire-Zeitschrift „Punch“, März 1890
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    (c) dpa/Picture-Alliance, Frankfurt: S.

Leichtsinn und Größenwahn
Die „Weltpolitik“ Kaiser Wilhelms II. (1890–1914)
    Nach Bismarcks Abgang übernahm Wilhelm II. höchstselbst das politische Ruder. Er verwechselte jedoch zunehmend Schein mit Sein, badete in Beifall, tat Kritik als Nörgelei ab, nutzte das Herrscheramt zu dauernder Selbstdarstellung und entfaltete einen lärmenden Kaiserkult, der in krassem Gegensatz zu den preußischen Tugenden der Nüchternheit und Zurückhaltung stand. Doch dieser Byzantinismus war zeitgemäß, gefiel dem Volk, das dem geschickten Bühnenkünstler zujubelte, wenn er sich hoch zu Ross huldvoll lächelnd seinen Untertanen zeigte.
Nachholbedarf an Größe
    Nachfrage (nach Verehrung) und Angebot (an Unterwürfigkeit) ergänzten sich dabei aufs Verderblichste. Der deutsche Nachholbedarf an „Größe“ war enorm. Unter einem „Platz an der Sonne“ stellte man sich, allen voran der Kaiser, anderes und mehr vor: Kolonien mussten streng „an die Kandare“ genommen werden (Niederschlagung des Aufstands der Herero 1904), die deutsche Zukunft wurde „auf dem Wasser“ gesucht – gefunden wurde dann allerdings nur der Konflikt mit der Seemacht Nr. 1, mit England –, nicht einfache Außenpolitik stand zur Debatte, es musste schon „Weltpolitik“ sein. Sie kostete Wilhelm etwa bei der Entsendung deutscher Truppen gegen die Boxer in China 1900 unter „Weltmarschall“ Waldersee aus: Nie wieder werde es künftig ein Chinese wagen, „einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“
    Daily-Telegraph-Affäre
    „Ihr Engländer seid verrückt, verrückt, verrückt wie die Märzhasen«, lasen die Briten am 28.10.1908 erstaunt im „Daily Telegraph“. Und das Erstaunen schlug in Empörung um, als sie feststellten, wer ihnen diese charmante Diagnose gestellt hatte: Deutschlands Kaiser Wilhelm II. las den Engländern in einem Interview die Leviten und beklagte sich. In England als arrogante Anmaßung empfunden, sah man in Frankreich und Russland in den kaiserlichen Ausführungen den Versuch, das gute Einvernehmen in der Triple-Entente zu stören und reagierte entsprechend heftig. Noch heftiger aber wehte der Gegenwind im deutschen Reichstag, in dem alle Parteien in einer Debatte am 10.11. gegen Wilhelm Front machten und seinen Kanzler Bernhard von Bülow massiv angriffen. Bülows Entlassungsgesuch lehnte der Kaiser jedoch ab. Der Reichstag gewann durch die Affäre an Selbstbewusstsein, vermochte aber Verfassungsreformen nicht durchzusetzen
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Bedrohliche Kulisse
    Der Kraftmeier-Wortschatz kam draußen miserabel an. Zar Alexander III. meinte indigniert nach der deutschen Ablehnung der Verlängerung des Rückversicherungsvertrags 1890, Wilhelm II. sei ein schlecht erzogener und treuloser Bursche („garçon mal

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