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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth,
     denen im August 1989 genauso wie der SPD und den Grünen die Zukunft zu gehören schien, blieben auf der Strecke.
    Umso größer war der Jubel, als die Entourage der Kohl-Kritiker im September 1998 endlich das Ende des Pfälzers besingen konnte,
     der nach
sechzehn
Jahren die Bundestagswahl verlor. An die Stelle der Koalition von Union und FDP trat das sogenannte rot-grüne Projekt. Dreißig
     Jahre nach der Revolte von 1968 schien die politische Linke endlich im Zentrum der Macht angekommen zu sein.
    Doch was als folgerichtige historische Entwicklung erschien, war am Abend des 27.   September 1998 eher ein geschichtlicher Zufall, aus dem dann freilich handfeste Politik geboren wurde. Ähnlich wie bei den
     Bundestagswahlen 1969 rechneten viele Akteure auch 1998 wieder mit der Etablierung einer Großen Koalition. Die Meinungsforscher
     hielten eine Koalition aus CDU/CSU und SPD für mehr als wahrscheinlich. Noch zwei Tage vor der Wahl eröffnete ein bekannter
     Demoskop der Bonner ›Spiegel‹ Redaktion, dass ein anderes Ergebnis, etwa eine Mehrheit für rotgrün, »vollkommen unwahrscheinlich«
     sei, weil es entsprechende Wählerwanderungen, die ein solches Ergebnis voraussetzte, in der Geschichte der Bundesrepublik
     »noch nie« gegeben habe.
    Auch der Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, ging noch Stunden nach Schließung der Wahllokale davon aus, dass er am
     nächsten Morgen mit der Union in politische Gespräche über eine Regierungsbildung treten würde. Das war dem Niedersachsen
     gar nicht so unrecht, denn für seine Reformvorhaben wollte sich der Sozialdemokrat eine breite Mehrheit im Parlament sichern.
    Dass es anders kam, hatte nichts mit der magnetischen Anziehungskraft und der historischen Berechtigung des rot-grünen Projekts
     zu tun, auch nicht damit, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer bereits in den achtziger Jahren in einschlägigen Bonner
     Kneipen auf Bierdeckeln die Posten eines künftigen rotgrünen Kabinetts verteilten. Die erste rot-grüne Regierung – und damit
     nach dem Zusammenbruch des SE D-Regimes erst derzweite vollständige, demokratische Machtwechsel in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands – war wiederum eine direkte Folge
     des politischen Verhaltens der Ostdeutschen.
    Doch diesmal hatten die Ereignisse nichts mit Montagsdemonstrationen, dem Fall der Mauer und dem Sturm der Stasizentrale zu
     tun – sondern mit einem parlamentarischen Spezifikum: den Überhangmandaten. Die Überhangmandate, also Sitze im Parlament,
     die direkt und zusätzlich zu den durch Zweitstimmen für die Parteien gewonnenen Wahlkreisen addiert wurden, hatten der SPD
     einen Kantersieg in den neuen Ländern beschert. Alle Überhangmandate in Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt
     und Mecklenburg-Vorpommern waren an die SPD gefallen.
    Das verhalf Rot und Grün im Parlament zu einer unverhofften, komfortablen Mehrheit im Parlament. Zwar hatte Rot-Grün auch
     nach ersten Hochrechnungen um 18:30   Uhr schon eine knappe Mehrheit. Doch mit nur wenigen Stimmen Regierungsmajorität wollte weder Fischer noch Schröder eine rot-grüne
     Regierung riskieren. In der Fraktion der Grünen saßen nach ihrem Geschmack zu viele unsichere Kantonisten, die der Regierung
     bei politisch schwierigen Abstimmungen vielleicht die Anhängerschaft verweigert hätten.
    Als kurz vor Mitternacht feststand, dass die SPD sämtliche dreizehn Überhangmandate abgeräumt hatte und Rot-Grün nun über
     eine komfortable Mehrheit im Bundestag verfügen würde, war Schröder klar, dass er in seiner Partei eine Große Koalition nicht
     mehr durchsetzen könnte. »Scheiße, jetzt muss ich das machen!«, soll er nach Angaben des damaligen Chefs der ›Bild am Sonntag‹,
     Michael Spreng, gesagt haben, der 2002 den bayrischen Ministerpräsidenten und Unionsspitzenkandidaten bei der Bundestagswahl,
     Edmund Stoiber, im Wahlkampf beriet.
    Wie zögerlich Joschka Fischer auf die Möglichkeit des »Rot-Grünen-Projektes« noch um 22:00   Uhr des Wahlabends reagierte,habe ich als Redakteur des ›Spiegel‹ selbst erfahren. Während eines Interviews, das ich gemeinsam mit dem Kollegen Hajo Schumacher
     mit Fischer für eine Sonderausgabe führen wollte, schwieg Fischer beharrlich bei jeder Frage. Das Manuskript landete im Papierkorb,
     stattdessen befragten wir dann einen euphorischen Jürgen Trittin, der uns Rot-Grün um Mitternacht

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