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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Mauer in PDS umbenannt
     hatte, änderte nichts daran, dass sie in der politischen und juristischen Kontinuität der SED stand. Eine Auflösung und Neugründung
     der Partei hatten Gysi und Co. zwar diskutiert – die Idee dann aber verworfen. Eine Auflösung hätte zwangsläufig auch den
     Verlust des Parteivermögens bedeutet.
    Also keine Selbstauflösung, kein klarer Schnitt. Aber wieso wurde die Partei, die im 20.   Jahrhundert die zweite Diktatur auf deutschem Boden etabliert und getragen hat, nicht verboten? Fragen wir per E-Mail bei jemandem nach, der es wissen müsste, Richard Schröder, DD R-Bürgerrechtler , von April bis August 1990   Vorsitzender der SP D-Fraktion in der Volkskammer:
    »Lieber Herr Malzahn, diese völlig absurde Idee ist selbstverständlich in der Regierung de Maizière nie diskutiert worden.
     Der wichtigste Grund: Die SED-PDS hatte eine ausländische Schutzmacht, die mit 400   000   Soldaten im Lande stand. Wir wollten ihre Zustimmung zur Einheit und den Abzug ihrer Truppen. Da wären wir doch verrückt gewesen,
     sie mit dem Verbot einer kommunistischen Partei zu reizen, während Gorbatschow nochGeneralsekretär einer kommunistischen Partei war. Das wäre eine schöne Vorlage für seine Gegner gewesen! Erst nach dem Putsch
     von Jelzin wurde die KPdSU verboten, in keinem anderen ehemals sozialistischen Land ist das meines Wissens geschehen. Es war
     übrigens auch eine dringende Forderung von Gorbatschow an Kohl, mit den bisherigen Machthabern fair umzugehen. Zweitens hatte
     die SED-PDS bei freien Wahlen 16,8   Prozent erhalten. Und sollte die neue Freiheit der Demokratie mit einem Parteiverbot beginnen? Das hätte nach Fortsetzung
     des Bisherigen ausgesehen. Und wer sollte verbieten? Die Volkskammer? Ein frei gewähltes Parlament widerruft die Wahlergebnisse
     und verbietet eine Partei, die legal in der Volkskammer sitzt? Wann bitte hätte die SED verboten werden sollen: vor oder nach
     dem 3.   Oktober? Beide Male wären die Folgen unkalkulierbar gewesen. Die das heute als Versäumnis betrachten, nehmen sich das Verbot
     der NSDAP durch die Alliierten zum Vorbild, abwegig. Mit bestem Gruß, Richard Schröder.«
    Also kein Verbot. Meine Anfrage zwanzig Jahre nach dem Mauerfall bewegte Schröder übrigens noch zu einer zweiten E-Mail : »Noch ein Argument: Es waren ja massenhaft SE D-Mitglieder dem Neuen Forum beigetreten, darunter viele, die die SED erneuern wollten, aber sich trotzdem als Opposition verstanden.
     Gerade am 4.   November, bei einer janusköpfigen, genehmigten und meines Wissens vom SE D-Parteiaktiv der Künstler beantragten Demonstration waren massenhaft auch SE D-Mitglieder dabei. Man hätte also einen Riss durch die nicht sortierte ›Opposition‹ riskiert. Es gab doch damals kaum präzisierte Reformprogramme,
     und die Formel von einem besseren Sozialismus oder wahren Sozialismus war damals in aller Munde, als Alternative zur kapitalistischen
     Bundesrepublik, siehe den Aufruf ›Für unser Land‹, den auch Ulrike Poppe, Bischof Demke und Schorlemmer unterschrieben haben!
     (Ich nicht.) Mit bestem Gruß, Richard Schröder.«
    Die Regierung de Maizière wollte also schlauer sein als die Regierung Adenauer, die 1956 mit dem KP D-Verbot auch einen Keim für die linke 68er-Revolte gelegt hatte (vgl. ›Deutschland, Deutschland. Kurze Geschichte einer geteilten
     Nation‹, S.   54   ff.). Es wurde auch niemand, wie 200   Jahre zuvor noch in Frankreich, unter die Guillotine gelegt. Die von Altstalinisten immer wieder beklagte »Siegerjustiz« der
     Bundesrepublik ist eine postkommunistische Schutzbehauptung. Die Protagonisten des SE D-Regimes wurden alles in allem mit großer Nachsicht behandelt. Der bundesdeutsche Rechtsstaat kannte keine Rache.
    Der ehemalige Staats- und Parteichef Erich Honecker konnte seinen Lebensabend, nachdem ihn ein Gericht aus Krankheitsgründen
     für nicht verhandlungsfähig erklärt hatte, in Chile verbringen. Ins Exil getrieben hatte ihn freilich niemand, er hätte auch
     eine Wohnung in Wandlitz bei Berlin beziehen können. In den unruhigen Monaten nach dem 9.   November hatte ihm ein ostdeutscher Pfarrer Asyl gewährt – aus Barmherzigkeit.
    Erich Mielke, der als Stasi-Chef buchstäblich über Leichen gegangen war, wurde nicht etwa wegen der Verantwortung für das
     zehntausendköpfige Spitzelheer angeklagt, das er jahrzehntelang befehligt und auf das Staatsvolk losgelassen hatte. Zum Verhängnis
     wurde ihm sein

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