Deutschland 2.0
bestätigte.
Die Ostdeutschen haben also den linken Traum von der regierungsfähigen Mehrheit diesseits der Union in Bonn erst möglich gemacht.
In den politischen Konzepten der rot-grünen Regierung spielten die neuen Länder freilich trotzdem keine große Rolle. In der
ersten Regierung Schröder fand sich mit der Berliner Sozialdemokratin Christine Bergmann als Familienministerin nur eine Ostdeutsche
am Kabinettstisch wieder. Zum »Ost-Beauftragten« machte Schröder den Sachsen Rolf Schwanitz – von dem man nach seiner Ernennung
kaum noch etwas hörte. Die Rolle des Anwalts der kleinen Leute aus dem Osten übernahm immer mehr die PDS.
Die Nachfolgepartei der SED wurde in Bonn am Rhein politisch allerdings nicht besonders ernst genommen. Zwar avancierte der
rhetorisch versierte Frontmann der Sozialisten, Gregor Gysi, schnell zum gefragten Talkshow-Gast und wurde selbst von führenden
Christdemokraten als Gesprächspartner in kleiner Runde geschätzt. Doch in allen »Bonner« Parteien ging man nach der Wende
davon aus, dass sich das Phänomen der PDS bald von selbst erledigen würde, weil Parteivolk und Wähler demnächst aussterben
würden.
Gysi selbst bestätigte diesen voreiligen Eindruck mitunter. Mitte der neunziger Jahre klagte er mir im Bonner Bundestagsbüro
sein Leid: Die PDS sei an der Basis veraltet, im Westen kaum präsent. Darüber hinaus gebe es in seiner Partei kaum jemanden,
der außerhalb der neuen Länder politisch bestehen könne. Die meisten Genossen kämen schnell ins Stottern, wenn sie in westlichenGefilden unterwegs wären. An eine erfolgreiche »Westausdehnung« der PDS glaubte Gysi damals selbst kaum.
Als die PDS aber auch 1998 wieder den Sprung in den Bundestag schaffte, gab man in der SPD, die nach der Gründung der Grünen
kein Interesse an einer weiteren politischen Konkurrenz an ihrer linken Seite hatte, eine neue Parole aus. Wenn sich das Problem
des organisierten Postkommunismus schon nicht biologisch erledigte, wollte man es nun politisch versuchen. Das Stichwort hieß:
Entzauberung durch Verantwortung. Auch dieses Experiment verlief nicht besonders erfolgreich. Bereits fünf Jahre nach dem
Mauerfall ließ sich in Sachsen-Anhalt eine rot-grüne Regierung durch die PDS tolerieren. Doch am Ende der Legislaturperiode
wurde nicht etwa diese entzaubert – sondern die im Osten ohnehin schwachen Grünen. Sie scheiterten in Magdeburg an der Fünfprozenthürde.
Das Tolerierungsmodell wurde ohne Grüne fortgesetzt. Am Ende verlor die SPD die Macht in Magdeburg, die CDU konnte mit Hilfe
der FDP wieder einen Ministerpräsidenten stellen. Die PDS aber war in diesen Jahren vom politischen Paria zum ernstzunehmenden
Faktor geworden. Die Genossen dachten gar nicht daran, das Feld zu räumen. Und in Bonn ging inzwischen niemand mehr davon
aus, dass die Partei einfach wieder so verschwinden würde.
Nach der Tolerierung in Sachsen-Anhalt kam es in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg zu rot-roten Koalitionen.
Von einer Entzauberung durch Machtteilhabe spricht heute niemand mehr. Seit Oskar Lafontaine mit der Wahlalternative Soziale
Gerechtigkeit (WASG) zur PDS stieß und die Partei unter dem Label »Die Linke« firmiert, glaubt bei den Sozialdemokraten niemand
mehr, man müsse die SE D-Nachfolger nur erst einmal regieren lassen, dann würden die abtrünnigen Wähler schon begreifen, dass das Paradies nicht sofort ausbricht
– und sich wieder der guten alten SPD zuwenden. Die Linke in Deutschland sitzt ganz bequem und stabil in der Parteienlandschaft.Dass nicht die Bürgerrechtler, sondern die ehemaligen Kommunisten es geschafft haben, sich erfolgreich in die neue Zeit zu
retten und politisch zu reüssieren, bleibt allerdings verblüffend. 1990 hätte das jedenfalls kaum jemand für möglich gehalten
– am wenigsten wohl die SED selbst.
Hätte der Aufstieg der Linken, die mit ihren populistischen Forderungen manchmal sogar die CSU politisch vor sich hertrieb
und nach Schröders Hartz-I V-Reformen wie ein Stachel im Fleisch der SPD steckte, verhindert werden können?
Zunächst einmal könnte man die Frage stellen, warum die SED nicht im Frühjahr 1990, nach den demokratischen Volkskammerwahlen
in der DDR, von der Regierung de Maizière verboten worden ist. Immerhin hatte die SED eine vierzigjährige Diktatur zu verantworten,
unsägliches Leid verursacht und das Land ökonomisch ruiniert. Dass die Partei sich nach dem Fall der
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