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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Staatsbetriebe
     nicht erkannt? Hätte, könnte, wäre. »Bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir alles besser!«, versprach 1992 der damalige
     sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und setzte dem grassierenden Pessimismus einfach ein ironisches Bonmot entgegen.
    Helmut Schmidt hingegen, der muntere, qualmende Altbundeskanzler, mittlerweile im 92.   Lebensjahr, ist kein Meister des ironischen Bonmots. Er schätzt die überraschende Pointe, sie darf durchaus verletzend sein.
     Seinem Nachfolger Helmut Kohl – »er war natürlich in ökonomischen Dingen naiv« – wirft Schmidt nicht die »Währungsumstellung
     an sich«, sondern vielmehr den Wechselkurs vor: »Dass man für eine Mark Ost eine D-Mark West bekam und dass die Löhne und die Preise im Verhältnis 1:1 umgestellt wurden, das war ein Schwerstfehler.« Den »Weltökonom
     und Opelfahrer« Schmidt gruselt es noch 2010, wenn er an die Konsequenzen denkt: 10   000   Mark für einen neuen Trabi, dabei war der »nicht einmal so viel wert wie ein zehn Jahre alter Opel«. Logische Folge: Die Trabant-Fabrik
     musste dichtmachen wegen des »Schwerstfehlers« – über den sich die Ostdeutschen seinerzeit allerdings sehr gefreut haben,
     verständlicherweise.
    Dennoch bleibt die Frage auf der Tagesordnung, wie ernst die Deutschen ihre jüngere Geschichte eigentlich nehmen – wie genau
     wir sie kennen und ob wir sie je nach Lage passend zum aktuellen politischen Gebrauch machen. Die Feierlichkeiten zum Mauerfall
     im November 2009 hatten immerhin einen interessanten Effekt: den des kollektiven Erinnerns. Auf einmal wusste man wieder,
     wie grau der Himmel über Bitterfeld vor der Wende noch war, wie frustriert man sein konnte, wenn einen die Volkspolizei Unter
     den Linden verscheuchte, nur weil man in der Nähe des Brandenburger Tores ein paar musikalische Fetzen vom Michael-Jackson-Konzert
     aufschnappen wollte, der auf der West-Seite gerade auftrat.
    Man erinnerte sich im Osten an leere Regale, hohle Phrasen, an das ungemütliche Nebeneinander von privatem Leben und staatlicher
     Bevormundung. Marius Müller-Westernhagen besang am 8.   November 2009 vor dem Brandenburger Tor dann die neue »Freiheit«, und Tausende sangen mit: »Freiheit, Freiheit, ist das Einzige
     was zählt.«
    Mit der Revolution in der DDR hatte der 1986 geschriebene Song allerdings rein gar nichts zu tun. Dass er zwanzig Jahre später
     zum »Soundtrack des Mauerfalls« werden sollte, ist einer jener unvermeidlichen Irrtümer der Fernsehwelt. Ein anderes Lied
     und auch sein Sänger hätten wohl besser gepasst: ›Ermutigung‹ von Wolf Biermann. Die Ballade hatte in der DDR Volksliedcharakter
     und war auch im Westen sehr bekannt. Sie wurde von jungen Leuten im Zeltlager zu Gitarrenbegleitung gesungen, im DD R-Knast gepfiffen, auf Partys gespielt. ›Ermutigung‹ mit seiner programmatischen Kopfzeile »du, lass dich nicht verhärten« war die
     Hymne der Opposition und im Land bekannter als jeder Sommerhit. Und obwohl Biermann bei den Feiern zum Mauerfall merkwürdigerweise
     nicht auf die Bühne durfte, sondern nur als Ehrengast geladen war, bleibt sein Credo bestehen: »Du, lass dich nicht verhärten
     in dieser harten Zeit   … lass dich nicht verbittern in dieser bitteren Zeit   … lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit   … lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit…« (kompletten Liedtext und Begleitharmonien siehe unter http://www.lyricsarchiv.de/songtext.php? Id=612 ).

Glück, Geld, Erfolg
    Der Oktober und November 2009 waren der Herbst des Patriarchen Dr.   Helmut Kohl. Von Alter und Gebrechen schon stark gezeichnet, ging der Altkanzler noch einmal auf deutsch-deutsche Tournee,
     wurde gar in einem Fernsehspiel gewürdigt. Doch die höchsten Weihen blieben ihm verwehrt. Im September hatte das Nobelpreiskomitee
     in Stockholm Barack Obama die begehrte Auszeichnung zuerkannt – wohl nicht in erster Linie auf Grund politischer Leistungen,
     sondern wegen eines diffusen, hoffnungsfrohen politischen Gefühls, das der 44.   Präsident in unzähligen Reden um den Globus verbreitete. Kohl, der Kanzler der Einheit, der nie besonders gut reden konnte,
     ging leer aus. Verdient hätte er die Trophäe allemal, denn elf Monate nach dem Mauerfall 1989 war mit der deutschen Einheit
     die Freiheit von achtzehn Millionen Ostdeutschen besiegelt, der Abzug der Roten Armee beschlossene Sache. Bei der ganzen Aktion
     fiel kein einziger Schuss.

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