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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Hunold blieb seiner Branche auch nach der Wende treu. Noch nach der
     Auflösung des Dienstes hat der frühere Stasi-Offizier für »mehrere Dutzend« Mf S-Angehörige Beerdigungen organisiert – im April 1995 trug er den einstigen Stasi-Meisterspion Günter Guillaume zu Grabe.
    Die Bestattung, die ich mir damals aus der Nähe ansah, geriet zum Aufmarsch der abgewickelten Stasi-Generalität. Nach bester
     Tschekistenmanier hatten die Veteranen schon eine Stunde vor dem Termin das Friedhofsgelände in Berlin-Marzahn sondiert. Nur
     Markus Wolf, der als Chef der Auslandsspionage Guillaume seit den fünfziger Jahren beim westlichen Gegner geführt hatte, kam
     erst Schlag 13   Uhr, zum Glockengeläut.
    Über achtzig alte Kameraden versammelten sich damals an Guillaumes Grabstelle, in dunklen Mänteln, mit silbrigem Haar und
     wachem Blick. Im Westen stand der Name Guillaume für Verrat, seinen Kollegen im Osten aber galt der ehemalige Referent von
     Bundeskanzler Willy Brandt als Repräsentant für die Überlegenheit des DD R-Geheimdienstes . Guillaumes Enttarnung hatte 1974 zum Rücktritt von Brandt geführt.
    In seiner Trauerrede erinnerte der letzte Spionage-Chef der DDR, Wolf-Nachfolger Werner Großmann, an »Fleiß, Zielstrebigkeit,
     Ausdauer, Geschick« des Top-Agenten. »Selbst im Wissen um die Gefahr« habe Guillaume »bis zuletzt diszipliniert und hingebungsvoll
     auf seinem Posten« durchgehalten. Mit der Ansprache erfüllte Großmann »Günters letzten Wunsch«.
    Dann wurde es heimelig. Noch kurz vor seinem Tod hatte der ehemalige Generaloberst den verdienten Kundschafter zu einer kleinen
     Geburtstagsfeier in seine Marzahner Plattenwohnung eingeladen. Von »Krankheit gezeichnet« war Guillaume, der den Namen seiner
     zweiten Frau angenommen hatte und deshalb jetztals Günter Bröhl unter die Erde kam, »wie immer rege beim Gespräch und voller Zuversicht«. So viel Zeit wie früher bei offiziellen
     Mf S-Bestattungen blieb Großmann aber nicht. Hunold musste seinen alten Chef zur Eile mahnen: Für die zwanzigminütige Zeremonie war mit der
     Friedhofsleitung ein Festpreis von 480   Mark vereinbart, eine Überschreitung des Zeitlimits hätte die Veranstaltung um 240   Mark verteuert. Hunold beklagte sich darüber in einem Anfall von DD R-Nostalgie bei mir: »Früher waren die Bestattungen viel billiger!«
    Auch die Ehrenbezeugungen fielen sparsam aus. Wäre Guillaume zu Honeckers Zeiten gestorben, klagt der frühere Generalleutnant
     Günter Möller, »dann hätten wir ihn mit allen militärischen Ehren bestattet«: Soldaten des Wachregiments Feliks Dzierzynski
     in Habacht-Stellung, Salutschüsse und, vor allem, keine West-Journalisten. Um wenigstens die nächsten Angehörigen Guillaumes
     vor den vielen Reportern und Fotografen zu schützen, hatte der gewiefte Geheimdienstmann einen weißen BMW organisiert, den
     er direkt zu Kapelle und Grab chauffieren ließ. An die Hinterbliebenen »war kein Rankommen«, freute sich Hunold hernach –
     gelernt ist gelernt.
    Im Berliner Stadtteil Hellersdorf betrieb das Alt-Stasi-Mitglied Mitte der neunziger Jahre das »St. Anschar Bestattungsinstitut«.
     Kunden aus dem Geheimdienstmilieu schätzen seinen schlichten und diskreten Service. Der ehemalige Tschekist konnte prominente
     Namen anführen: Im Dezember 1993 brachte er Heinz Fiedler unter die Erde, den ehemaligen Chef der Hauptabteilung VI.   Ein Jahr später begrub er Rudi Mittig, früher Stellvertreter von Erich Mielke.
    Vom Diensteintritt bis zum Tod blieb in Mielkes Geheimarmee nichts dem Zufall überlassen. Die von Generalleutnant Möller befehligte
     Truppe »Freud und Leid« hatte in jeder Stasi-Abteilung ein bis zwei »Ansprechpartner«, die für Seniorenfeiern, Urlaube und
     selbst Eheprobleme zuständig waren. Einmalim Jahr wurden die Aktivisten zur Schulung versammelt, um die Regeln der Konspiration fürs Rentnerleben zu studieren. Hinter
     der fürsorglichen Belagerung der Stasi-Pensionäre steckte freilich politisches Kalkül. Viele Spione, die im Laufe ihres Lebens
     von der Gegenseite angeworben wurden, haben das Rentenalter erreicht. Nun entfernt von der unsichtbaren Front, langweilen
     sie sich nach Ende ihrer Laufbahn buchstäblich zu Tode. Etwaige feindliche Kontaktaufnahme sollte von Hunolds Abteilung mit
     einem attraktiven Rentnerprogramm vermieden werden. Dass aber eine ehemalige Stasi-Abteilung nach dem Zusammenbruch des SE D-Regimes sich so erfolgreich mit Hilfe von

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