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Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
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Schau getragenen schlechten Laune vieler ostdeutscher Politiker und Protagonisten, denen
     der Aufbau Ost viel zu langsam vor sich ging, war der Erfolg der Einheit überall sichtbar und mit Händen zu greifen. Die vor
     der Wende völlig zerfallene Altstadt Erfurts wurde aufwändig renoviert, die Instandsetzung der Fachwerkbautenund der berühmten Krämerbrücke verschlang Millionen. Bei jeder Autobahnfahrt nach Berlin war die renovierte Asphaltpiste ein
     Stück länger. In Eisenach siedelten sich die Opel-Werke an, in Jena übernahm der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident
     Lothar Späth die Jenoptik-Werke. Weimar entwickelte sich mit den Jahren zu einem wahren Wossi-Rentnerparadies, immer mehr
     westdeutsche Pensionäre wollten ihren Lebensabend in der Nähe von Goethe und Schiller verbringen. »Weimar sehen und sterben«
     titelte ›Spiegel Online‹ einmal böse über dieses Einwanderungsphänomen.
    Eine Fahrt mit der Bahn von Berlin nach Erfurt dauerte Anfang der neunziger Jahre mehr als vier Stunden. Genauso lange war
     man damals mit der Bahn nach Hamburg unterwegs. München oder Frankfurt am Main waren eine Weltreise entfernt, nach New York
     war man etwa gleich lange unterwegs. Heute geht das alles schneller. Die sichtbarsten Erfolge der Wiedervereinigung liegen
     im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße – und auf den Schienen.
    Seit 1991 sind fast vierzig Milliarden Euro in die »Verkehrsprojekte Deutsche Einheit« geflossen. Sie umfassen neun Schienen-
     und sieben Autobahnprojekte, dazu kommt der Ausbau der Wasserstraße von Hannover nach Berlin. Unter vierzig Milliarden Euro
     können wir uns nicht viel vorstellen – deswegen macht es Sinn, sich die einzelnen Bauvorhaben genauer anzuschauen. Dass der
     ICE von Berlin nach Hamburg heute nur noch 93   Minuten von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof braucht, ist eines der Ergebnisse der Anstrengungen der letzten zwei Jahrzehnte.
     Vor zwanzig Jahren flog man noch vom Flughafen Tegel in die Hansestadt, wenn man es eilig hatte. Inzwischen ist diese Verbindung
     gestrichen, sie lohnt sich einfach nicht mehr. Die Bahn ist schneller.
    Auch wer von der Hauptstadt nach Frankfurt am Main muss, steigt heute oft eher in die Bahn. Der IC E-Sprinter bringt uns in dreieinhalb Stunden von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof. Auchdie Strecke zwischen München und Berlin wird immer schneller: Zurzeit ist man noch knapp sechs Stunden, in ein paar Jahren
     dann bereits nur noch etwas mehr als vier Stunden unterwegs. Wer 1990 von Hannover nach Berlin (264   km) fuhr, musste mit der Bahn mindestens vier Stunden und zwölf Minuten kalkulieren. Heute schafft der ICE die Strecke in
     96   Minuten. Selbst das nahe gelegene Leipzig war von Berlin aus vor zwanzig Jahren oft noch rund zwei Stunden entfernt – heute
     geht das in sechzig Minuten. Wer im Dezember in der Thomaskirche das Weihnachtsoratorium hören will, kann noch am selben Abend
     wieder nach Berlin und ist sogar vor Mitternacht zu Hause. Die deutsche Einheit ist also genau besehen ein milliardenschweres
     Beschleunigungsprojekt.
    Werfen wir auch einen Blick auf Autobahnen und Bundesstraßen: Manche Pisten, die uns heute schneller durchs Land bringen,
     gab es vor zwanzig Jahren noch gar nicht. Die Autobahnen waren in schlechtem Zustand, auf manchen Strecken gab es noch den
     Belag, über den die Karossen der Nazis gefahren waren. Autobahn- und Straßenbau steht seit dem Auftauchen der Ökologiebewegung
     unter Verdacht. Und man kann tatsächlich darüber streiten, ob man heute beispielsweise die Autobahn von München nach Salzburg,
     die direkt am Chiemsee vorbeiführt, um einen Meter höher legen und von zwei auf vier Spuren ausbauen muss. Wer dann künftig
     von der Kampenwand nach Norden blickt, wird vermutlich nicht mehr an der Herren- und Fraueninsel mitten im Bayerischen Meer
     hängen bleiben, sondern an einer monströsen Asphaltpiste.
    Der Autobahnbau in den neuen Ländern ging dagegen ziemlich konfliktfrei vonstatten. Er war einfach nötig. Ostdeutschland musste
     dringend seine Infrastruktur verbessern, um auch nur annähernd wettbewerbsfähig zu werden. Die Autobahnprojekte in Ostdeutschland
     waren kein asphaltierter Selbstzweck, sondern ein dringend benötigter Modernisierungsschub. Die Trasse vonLübeck über Stralsund nach Berlin hat die Autorepublik Deutschland näher nach Polen gebracht. Die Verbindung zwischen Kassel
     und Halle holt den Harz näher an die Hauptstadt und entlastet die

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