Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschland 2.0

Titel: Deutschland 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Christian Malzahn
Vom Netzwerk:
entfernt. Seien wir ehrlich: Diese gleichen Lebensverhältnisse können gar nicht eintreten. Ein Oberbayer führt
     ein anderes Leben als ein Bewohner des Ruhrgebiets, schließlich können wir die Alpen nicht verschieben. Ein Bürger Stralsunds
     hat andere Aussichten vor der Haustür als ein Leipziger oder Dresdner. Diese Vielfalt von Lebenswelten macht schließlich den
     Charakter der Bundesrepublik aus. Wir sind ein föderaler Staatenbund, die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten die unterschiedlichen
     Erfahrungen der Länder unbedingt in den politischen Prozess einspeisen. Genau deshalb sitzt das kleine Bremen neben dem großen
     Bayern im Bundesrat.
    Es geht also nicht um gleiche Lebenswelten, sondern um Chancengleichheit, um das gleiche Recht auf Freiheit, gesundheitliche
     Betreuung und, wenn nötig, auf das gleiche Recht auf staatliche Fürsorge. Die Sicherung dieser Rechte wird die Aufgabe von
     Politikund Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten sein. Die gute Nachricht ist: Der Ost-West-Konflikt wird in diesem Zusammenhang
     eine eher geringe Rolle spielen. Die schlechte Nachricht: Von allein werden sich diese Rechte nicht auf die nächsten Generationen
     vererben. Sie sind in Gefahr. Wir tun nicht genug, um sie zu sichern. Wie wir in zwanzig, dreißig Jahren leben werden, entscheidet
     sich schon heute. Die Politik allein wird diese Aufgabe nicht stemmen können. Um die Zukunft der Bundesrepublik zu meistern,
     brauchen wir einen Bürgeraufstand, der in seiner politischen Leidenschaft jener ostdeutschen Revolte von 1989 in nichts nachstehen
     sollte.

Einsichten, Aussichten
    Die Deutschen beschäftigen sich gern und oft mit ihrer Vergangenheit. In diesem teutonischen Geschichtsboom kommt es meist
     nicht so sehr darauf an, etwas Neues zu berichten, als vielmehr das bereits Bekannte mit immer bunteren Bildern oder grelleren
     Thesen zu erzählen und gegebenenfalls auch zu revidieren. Da flimmert der Zweite Weltkrieg in Farbe über die Mattscheibe,
     Martin Luther wird zum Spielfilmhelden, der Ansturm der Germanen auf den römischen Limes zur neuen Stunde null der Deutschen
     stilisiert. Magazintitel mit Hitler auf dem Cover plus beigelegter Führerbunker-DVD gelten auch in der Ära der Printmedienkrise
     noch immer als sichere Auflagenbringer. Wir schauen oft und gern zurück, unsere Vergangenheit macht uns eben keiner nach.
    Hierzulande sind etwa 3000 wissenschaftliche Einrichtungen damit befasst, die Vergangenheit aufzuklären. Nur etwa ein halbes
     Dutzend Institute beschäftigt sich dagegen mit wissenschaftlicher Zukunftsforschung, dazu kommen ein paar Stiftungen, die
     Trends nachjagen. Dieser inflationäre Umgang mit der Geschichte ist freilich nicht nur ein deutsches Phänomen. Hier versucht
     ein amerikanischer Historiker die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben, indem er Winston Churchill und Theodor
     Roosevelt unterstellt, sie hätten auf Hitlers Polenfeldzug nur gewartet, um dann selbst ordentlich loszuprügeln, da erklärt
     ein britischer Literaturwissenschaftler Franz Kafka posthum zum Pornografen, weil der seinerzeit ein expressionistisches Magazin
     mit Aktzeichnungen abboniert hatte. Der Popsänger Elton John bringt sich mit der These ins Gespräch, Jesus sei vermutlichschwul gewesen, weil er ständig zwölf junge Männer um sich scharte. Und so weiter.
    Bei dieser fröhlichen Treibjagd auf historische Pointen hat sich vor drei Jahrzehnten besonders der ›stern‹ hervorgetan: Das
     Blatt veröffentlichte damals die – gefälschten – Tagebücher Adolf Hitlers. Weite Teile der deutschen Geschichte müssten umgeschrieben
     werden, tönten die Chefredakteure, bevor der millionenschwere Betrug aufflog. Umgeschrieben werden musste anschließend freilich
     nur das Impressum der Hamburger Illustrierten. Diese Beispiele zeigen jedenfalls, dass die Geschichtsschreibung Gefahr läuft,
     von der Unterhaltungsmaschine plattgewalzt zu werden. Natürlich spielen auch politische Interessen eine Rolle. So ist die
     Geschichte der 68er-Revolte in Deutschland meist von ehemaligen 68ern erzählt worden. Was die Geschichte der DDR betrifft,
     lief es nicht ganz so absurd, aber ähnlich. Ausgerechnet das ehemalige SE D-Mitglied Gregor Gysi, heute Führungsfigur der »Linken«, oder die Betonkommunistin Sahra Wagenknecht sind im Fernsehen gern gesehene
     Gäste, wenn es darum geht, Vergangenheit und Gegenwart Ostdeutschlands auszuleuchten. Und je öfter dann die Platte »Es war
     nicht

Weitere Kostenlose Bücher