Deutschland allein zu Haus
bereits im Schrebergarten-Verwaltungsbüro mit den Prüfern auf uns.«
Mit blendend guter Laune holen wir stolz wie Oskar (besser gesagt Ahmet) seine Frau und die beiden Prüfer vom Schrebergarten-Verwaltungsbüro ab und machen uns auf den Weg, um gleich mit Ahmets und Fadimanims Design-Paradies anzugeben.
Und bekommen einen riesengroßen Schock (Ahmet und seine Frau):
Ahmets und Fadimanims total ordentlicher, sehr sauberer und vollkommen fusselfreier Museumsgarten, in dem die Pflanzen wie Soldaten beim Morgenappell kerzengerade in Reih und Glied gestanden haben sollen, wie er die ganze Zeit nicht müde wurde zu prahlen, sieht jetzt aus, als wäre mittendrin eine Bombe hochgegangen oder als hätte ein sehr starker Härriken drübergefegt oder »als hätten sich ein Dutzend Wildschweine hier förmlich ausgetobt!«, wie mein Onkel Ömer es so treffend ausdrückt. Er kennt sich damit bestens aus, in seinem Dorf gibt es auch Wildschweine.
Und tatsächlich, eines dieser Wildschweine guckt uns mit großen Augen an, fast genauso stolz auf sein Werk, wieAhmet und Fadimanim es die ganze Zeit vorher auch waren. Fadimanim fällt augenblicklich in Ohnmacht.
»Meine liebe Stalin, endlih ih dih wieder finden«, kommt in dem Moment laut brüllend Wladimir vom Nachbar-Schrebergartenverein ›Roter Stern‹ angelaufen.
Die Deutsch-Russen haben ihren eigenen Schrebergartenverein auf der anderen Seite vom Bahndamm.
»Genosse Ahmet, ih ohne mein Stalin niht leben kann. Aus Russland mitgebracht als Ferkel, jetzt groß Kerl. Aber Nahbar, wie sieht aus dein Garten? Mit so ein Garten hier kriegst kundigt! Komm du uns ruber, hier du niht mal durfen rihtig saftig Schweine zuhten! Wir viel Platz. Viel Russen zuruck nach Wolga.«
»Was ist mit Wodka?«, fragt Onkel Ömer neugierig.
»Das rabiate Schwein war wohl stark besoffen«, kläre ich ihn auf.
23 Durch grauenhaft laute Geräusche, als würden ein Dutzend mützesuchender Fahrräder mit besoffenen Wildschweinen zusammenkrachen, werden wir mitten in der Nacht aus unseren Träumen gerissen und schrecken aus unseren Betten hoch.
»Feuer, Feuer, rette sich, wer kann«, brülle ich instinktiv und versuche, damit auch unsere Kinder zu wecken. Ein anderer Grund für derart unverschämten Lärm fällt mir, schlaftrunken wie ich bin, beim besten Willen nicht ein. Im Schlaf fahren wir nämlich selten Fahrrad. Hoffentlich fängt meine Frau damit auch niemals an.
Bremen ist auch kein klassisches Erdbebengebiet. Nicht mal das Wasserglas mit meinen dritten Zähnen auf demNachttisch ist umgekippt. Bei dem letzten großen Erdbeben in der Türkei hat man meine dritten Zähne zwei Etagen tiefer in der Nachbarswohnung wiedergefunden.
»Osman, schrei doch nicht wie am Spieß, du weckst noch die Kinder! Es gibt kein Feuer«, stammelt meine Frau, die bereits wie versteinert am Fenster steht und durch einen Spalt in den Gardinen die Straße beobachtet.
»Was ist dann passiert?«, frage ich ängstlich.
»Massenhaft Polizisten sind drüben bei Ahmet und seiner Frau Fadimanim und versuchen, sie und ihre Kinder mit aller Gewalt in einen Polizeibus zu zwängen«, überschlägt sich ihre Stimme, während sie am ganzen Körper zittert.
»Was sagst du da, das kann doch nicht wahr sein! Nur weil ihr Schrebergarten wegen dem besoffenen Schwein die Prüfung nicht bestanden hat?«
»Ich weiß es nicht!«
»Aber weshalb werden die dann abgeführt? Außer bei Gelb über die Ampel zu fahren, hat sich Ahmet noch nie was zuschulden kommen lassen«, rufe ich wie vor den Kopf gestoßen und eile zu meiner Frau rüber.
»Mutter hat leider recht«, kommt Mehmet – genannt Mister Dracula, weil er grundsätzlich die Nacht durchmacht und erst im Morgengrauen ins Bett geht – zu uns ins Schlafzimmer. Aber im Gegensatz zu Dracula haben die armen Knobläuche vor ihm Angst und nicht umgekehrt. »Alle Ausländer, die länger als ein Jahr arbeitslos waren, werden ab jetzt sofort abgeschoben. In vier Wochen sind die dran, die seit sechs Monaten arbeitslos sind. Die haben das richtig gut gestaffelt«, berichtet Mehmet. »Und die holen diese Menschen noch heute Nacht ab, damit sie keine Gelegenheit mehr haben, unterzutauchen. Das habeich eben auf verschiedenen Internetseiten gelesen«, sagt er weiter und macht ständig Fotos. »Natürlich ist kein einziger Reporter da! Die verschlafen wieder die wichtigste und dramatischste Nachricht des Tages«, bemerkt er aufgeregt.
»Vielleicht wurden die Strafen für Verkehrssünder auch
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