Deutschland allein zu Haus
verschärft«, beruhige ich wieder eher mich als die anderen.
Danach reiße ich das Fenster auf und rufe:
»Ahmet, was ist denn los, bist du geblitzt worden? Kannst du die Strafe nicht zahlen? Soll ich dir schnell Geld leihen?«
»Kannst du mir schnell eine Arbeit geben?«, witzelt er und klingt überraschend gefasst.
»Warum schimpfen denn die Polizisten die ganze Zeit mit euch, anstatt sich zu freuen, dass sie eine komplette Familie abschieben dürfen?«
»Die sind nicht ganz mit unserer Forderung einverstanden, dass wir nach 42 Jahren in Deutschland mindestens 2 Tage brauchen, um unseren spontanen Abschied zu organisieren. Die meinen, die hätten für meine Familie extra für heute Flugtickets gebucht, und eine Stornierung wäre extrem umständlich und sehr teuer. Zudem hätten wir in Deutschland nichts mehr zu suchen.«
»Fadimanim, Ahmet, macht euch keine Sorgen, wir kommen in einigen Tagen auch nach. Ich werde morgen unsere Flugtickets reservieren«, ruft Eminanim ihnen hinterher, um sie seelisch zu unterstützen.
»Eminanim, wie soll ich denn in so kurzer Zeit unsere Rückkehr organisieren?«, protestiere ich sofort. Wer weiß, vielleicht hat sie es ja doch ernst gemeint.
»Was ist denn los, Osman, habt ihr etwa ein Problem?«, ruft Ahmet besorgt. Er ist wie meine Oma. Sie fragte mich auch ständig: »Wie geht’s dir, mein Sohn, was macht dein Schnupfen?« – sogar als sie selber mit einem Schlaganfallschwerkrank das Bett hütete. Und als sie im Sterben lag, röchelte sie: »Wie geht’s dir, mein Sohn, hoffentlich macht dir dein übler Fußpilz nicht wieder so zu schaffen.«
»Ahmet, du hast’s gut«, versuche ich wie immer unbedarft zu witzeln, wenn ich nichts Vernünftiges zu sagen weiß. »Die übernehmen wenigstens eure Unkosten, ich werde alles selbst blechen müssen!«
»Papa, Papa, was ist denn los?«, höre ich plötzlich unsere kleine Tochter Hatice neben mir ziemlich aufgeregt fragen. »Wohin wollen denn die vielen Polizisten meine Freundin Selma bringen?«, wobei ihre Stimme bereits sehr stark vibriert und ihre Augen feucht sind. Ein ganz klares Zeichen dafür, dass sie in spätestens 8 Sekunden anfangen wird, fürchterlich laut zu weinen.
Ihre süße kleine Unterlippe zuckt auch schon!
Ich habe nur noch 7 Sekunden!
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Sie hat ihren Mund bereits so weit aufgerissen wie einen Backofen …
2
1
»Dieb, Dieb, ein Dieb war bei denen in der Wohnung«, rufe ich in letzter Sekunde völlig überstürzt. Ich muss zugeben, ein sehr schwachsinniges Argument, aber was Besseres fällt mir in der Eile und zu dieser späten Stunde leider nicht ein. Hoffentlich reicht es noch für ein kleines Kind, das mitten in der Nacht aufgeschreckt wurde. Gespannt warte ich auf ihre Reaktion.
»Warum muss der Dieb nicht zur Polizei?«, fragt sie nach einer kurzen Denkpause mit zittriger Stimme.
»Wie meinst du das?«
»Warum will die Polizei denn meine Freundin Selma und ihre Eltern ins Gefängnis stecken und nicht den Dieb?«
Hatice scheint doch ausgeschlafener zu sein als ich!
»Osman, so doof ist die Kleine nicht«, flüstert meine Frau leise.
»Das weiß ich mittlerweile auch. Aber hast du eine bessere Idee? Meine klassische Lüge ›Mein süßes Töchterchen, das ist doch nur ein böser Traum und du bist eine kleine Schlafwandlerin‹ kauft sie mir sicher nicht mehr ab!«
»Hatice, meine süße Tochter, dein Vater wollte sagen, den Dieb hat die Polizei schon längst verhaftet. Aber die müssen natürlich deine Freundin Selma und ihre Eltern als Zeugen vernehmen!«
»Fürs Protokoll«, ergänze ich.
»Wofür?«, schluchzt Hatice mit vielen Fragezeichen und ebenso vielen Tränen im Gesicht.
»Dein Vater sagte doch: fürs Protokoll! Onkel Ahmet, Tante Fadimanim und Selma werden den Polizisten erzählen, was ihnen der Dieb so alles geklaut hat, damit sie das alles wieder zurückbekommen. Das muss bei der Polizei alles ganz genau aufgeschrieben werden. Und das nennt man Protokoll.«
»Siehst du, jetzt hast du um diese Uhrzeit wieder was Neues gelernt«, lobe ich sie.
»Morgen haben wir Schwimmunterricht. Bis dahin ist Selma bestimmt wieder da«, meint Hatice zuversichtlich.
Ich weiß es nicht, wen sie damit jetzt eigentlich trösten wollte? Sich selber, mich oder ihre Mutter?
»Kinder, was ist das denn für ein Krach?«, kommt in dem Moment auch noch Onkel Ömer verschlafen in seinem rot gestreiften Pyjama angelaufen.
»Bei den Ahmets ist eingebrochen worden«, lüge ich wieimmer, ohne
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