Deutschland allein zu Haus
Seite bereits besetzt! Deswegen sitzen wir auf der linken Seite vom Gang.«
»Das mag sein, mein Herr, es tut mir leid, aber so sind nun mal die Anweisungen der Geschäftsleitung, weil viele unserer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, öhm … so plötzlich gekündigt haben.«
»Sie meinen, wir sind quasi selbst schuld, dass wir nicht bedient werden: Sippenhaft!«
»Nicht nur wir, alle Cafés und Restaurants in Hamburg haben damit Probleme. Einige haben sogar für unbestimmte Zeit geschlossen.«
»Wir sollen also jetzt warten, bis ein Tisch auf der rechten Seite frei wird, damit Sie nicht einen Meter nach links laufen müssen?«
»Ja, ich bitte Sie darum, genau wie die Familie dort am Eingang.«
Und ich Idiot dachte, diese sechsköpfige Familie steht sich dort seit 20 Minuten hartnäckig die Beine in den Bauch, um ja nicht neben uns Platz nehmen zu müssen.
Aber wie soll ich das Ganze denn jetzt meinem Onkel Ömer verständlich machen, wo doch in der Türkei die Caféssogar kilometerweit entfernte Friseurläden mit Getränken versorgen, wenn man sich dort gerade die Haare schneiden lässt und dabei eine Tasse Tee genießen möchte …
32 Aber vorher muss mir jemand ganz dringend verständlich machen, weshalb ich in Hamburg andauernd in Sippenhaft muss!
»Fassen Sie sich doch an die eigene Nase«, pöbelt mich ein Bahnmitarbeiter ganz schön schroff an, als ich von ihm lediglich wissen will, weshalb die Regionalbahnen nach Bremen ausgefallen sind. »Mit der Arbeitsmoral Ihrer Landsleute steht es nämlich überhaupt nicht zum Besten«, fügt er noch vorwurfsvoller hinzu.
»Ich sehe es gar nicht ein, dass ich ständig dafür herhalten muss«, platzt es aus mir heraus. »Ihr selber habt diese Scheiße doch gewählt! Etliche Leute, denen diese Scheiße gewaltig stank, sind deshalb abgehauen, und ich werde für diesen ganzen Mist auch noch andauernd verantwortlich gemacht! Wissen Sie was, wegen Leuten wie Ihnen werde ich bald auch abhauen! Was die Nazis nicht geschafft haben, werden Sie schaffen!«
»Durch Frechheit ist noch niemand früher in Bremen angekommen«, zischt er, dreht sich um und geht einfach.
»Früher hatte die Bahn ja auch nicht den allerbesten Ruf«, schicke ich ihm hinterher.
»Osman, was ist denn los, dass du hier wie eine Bergziege in den Wehen rumkreischst?«
»Mokka, Onkel! Nicht mal die Bahn hat in ihrem Bistro genügend anständigen türkischen Mokka!«
Als wir endlich gegen Mitternacht in Bremen ankommen,möchte mein Onkel unbedingt in einen türkischen Imbiss gehen, um als kleines Betthupferl etwas Köfte, Bohnensuppe und Pilav zu essen. Obwohl er ganz genau weiß, dass er damit alle seine Adern verstopft, seinen Blutdruck auf die Spitze treibt, seinem Übergewicht noch mal 2 Kilo draufpackt und noch 137 weitere Krankheiten richtiggehend fördert.
Weil ich ein klein bisschen zögere, schmunzelt er sofort:
»Osman, mein Junge, ein toter Esel hat doch keine Angst mehr vor den Wölfen!«
Simultan übersetzt heißt es sinngemäß etwa: ›Hau rein, mein Junge, bei uns ist sowieso Hopfen und Malz verloren! Noch dicker können wir ja nicht mehr werden!‹
Dieses bei uns bereits verlorene, aber im türkischen Imbiss Antalya noch reichlich vorhandene Hopfen und Malz bestellt er als Erstes in einem großen Wasserkrug. Dazu Köfte, Bohnensuppe und Pilav. ›Antalya‹ ist einer der wenigen türkischen Imbisse, die noch nicht dichtgemacht haben.
»Onkel, es war wirklich eine gute Idee von dir, hierherzukommen, aber du weißt, ich will unbedingt etwas abnehmen«, entschuldige ich mich etwas zaghaft, dass ich ihm zu dieser späten Stunde nicht ganz Gesellschaft leisten kann.
»Ja, ja, ich weiß. Das willst du schon seit 30 Jahren. Morgen früh kannst du damit sofort anfangen, nachdem du dich zum Schluss mit Baklava dafür richtig gewappnet hast«, macht er mir Mut.
Ich finde, mein Onkel hat irgendwie schon recht.
Ich muss mich doch zuerst richtig stärken, um meinen großen Kampf gegen die heimtürkischen Kilos voller Energie und Elan angehen zu können.
Deshalb bestelle ich das Gleiche wie er. Einschließlich des großen Wasserkrugs voll mit kühlem Bier. Es sind außeruns noch 5 weitere Leute im Restaurant, die sich, genau wie wir, mit besonders fettigen Sachen die Bäuche vollschlagen.
Das Problem ist, wenn mein Onkel einen Schluck Bier trinkt, wird er sofort philosphisch. So wie jetzt:
»Osman, mein lieber Neffe, kein Mensch ist frei von Sünde! Jeder hat Dreck am Stecken«,
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