Deutschland allein zu Haus
bin, vergingen kein Morgen und kein Mittag und kein Abend, an denen ich nicht gefragt wurde, wann ich denn wieder in mein Morgenland zurückkehren würde:
»Woher kommst du?« war immer die obligatorische erste Frage. »Wann gehst du wieder zurück?« kam gleich danach.
Selbst wenn der Fragesteller zu Gast in meiner Wohnung war – war die Frage:
»Wann gehst du wieder zurück, Osman?«
»Wann gehst du wieder zurück, Klaus? Es ist nämlich bereits Mitternacht. Hau endlich ab. Ich hab morgen Frühschicht im Gegensatz zu dir!«
»Aber ich will doch nur wissen, wann du gehst!«
»Sofort, nachdem du gegangen bist!«
»Wohin?«
»Ins Bett! Ich will endlich schlafen, Mann!«
Richtig lustig wurde es immer, wenn unsere kleine Hatice in der Schule gefragt wurde, wann sie denn nach Hause geht.
»Sofort nach der Schule«, antwortete sie immer brav. »Ich gehe jeden Tag sofort nach der Schule nach Hause, sonst werden meine Eltern richtig böse.«
Bis heute hat sie die wahre Bedeutung dieser Frage nicht kapiert, was ja eigentlich ein Segen für sie ist. So konnte sie der Schulpsychologin gerade noch von der Schippe springen. Das war die Gnade der späten Geburt sozusagen!
»Hallloooo Leuteee, jetzt! Jetzt gehe ich wieder zurück!Versteckt euch doch nicht hinter euren Gardinen. Schaut richtig hin, ich gehe zurück! Das wolltet ihr doch immer!!!«, brüllt meine Tochter Nermin plötzlich in die leere Straße hinein. Ihr erging es all die Jahre natürlich auch nicht anders.
Aber diese Nachricht lockt niemanden mehr hinter dem Vorhang hervor.
Die Leute sind wohl der Meinung, dass es keine Kunst sei, zu gehen, wenn man ohnehin gegangen wird.
Abgesehen davon gibt es hinter den vielen Vorhängen, wo früher ein Ali, ein Veli, ein Ahmet, eine Ayşe, ein Sakis, ein Takis, ein Lakis, ein Makis, ein Goran, ein Zoran, ein Popovic, ein Petrovic und dazu die ganzen anderen -vics wohnten, seit Langem kein Lebenszeichen mehr!
Als Letzter macht es sich auch Onkel Ömer auf der Rückbank gemütlich.
»Leute, ein Glück, dass wir in der Kiste keine Eierbecher haben. Die würden jetzt auf der Stelle explodieren«, höre ich Nermin von hinten.
»Natürlich haben wir Eierbecher dabei. Ich habe 50 Eier gekocht für die Fahrt und dafür brauchen wir selbstverständlich Eierbecher, um auf den Autobahnraststätten ausgiebig zu picknicken«, antwortet Eminanim.
»Außerdem, seit wann können denn Eierbecher explodieren?«, frage ich verständnislos.
»Ihr seid vielleicht welche! Ich sagte nicht ›Eierbecher‹, sondern ›Ärbeck‹!«, lacht sich Nermin daraufhin schief, anstatt unseren tapferen Ford-Transit dafür zu loben, dass er überhaupt nicht jammert, obwohl er mittlerweile aus allen Nähten platzt.
Das ist natürlich nur so eine Redewendung. Wir könnenunseren Ford-Transit so vollstopfen, wie wir es wollen, trotzdem platzt er nicht wie seine Billigkopien aus Fernost. Er sieht nur aus, als hätten wir ihn tiefergelegt, wegen der vielen Sachen, die wir auf den Dachgepäckträger geladen haben. Es sieht aus, als wären 2 Ford-Transits übereinandergestapelt.
Aber gerade jetzt, wo ich ihn lobe, streikt er!
Will er etwa doch nicht weg?
Der ist genau wie Hatice und all die anderen Kinder in diesem Land produziert worden. Aber im Gegensatz zu denen ist er solide deutsche Wertarbeit. Damals hatte ich nämlich noch keinen deutschen Pass.
»Osman, Mehmet ist immer noch nicht da, obwohl er ganz genau weiß, dass wir heute um 14 Uhr losfahren wollten«, unterbricht meine Frau meine tief gehenden Gedankengänge über Ford-Transits im Allgemeinen und Franz-Josefs im Besonderen.
»Und ich wundere mich die ganze Zeit, dass wir keine Anstalten machen, endlich loszufahren. Aber wie soll der arme Franz-Josef denn auch ohne einen Fahrer fahren?«, rufe ich vom Beifahrersitz nach hinten. Wegen der riesigen Kühlbox neben mir kann ich überhaupt nicht sehen, was auf dem Fahrersitz passiert.
»Ich befürchte, der Junge kommt nicht mehr, es ist schon 15.30 Uhr«, sagt Eminanim besorgt.
»Er kann sich wohl von seinem Harem nicht trennen«, schimpfe ich, »was sollen denn jetzt die Nachbarn sagen, ich gebe hier seit Stunden an, dass wir wegfahren – und jetzt so was! Dann fahren wir halt ohne ihn!«
»Was die Nachbarn sagen, ist mir völlig egal! Aber ohne meinen Mehmet fahre ich nicht weg! Ihm ist bestimmt was Schreckliches passiert, er hat nicht mal angerufen!«
»Wie sollte er denn auch? Sein Händy liegt ja hier im Handschuhfach«,
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