Deutschland allein zu Haus
Gespräch ein. »Hat deine Partei auch noch ein anderes Programm außer ›Ausländer raus!‹?«
»Öhm … wie? Anderes Programm? Warum denn, das eine ist doch gut«, stottert Herbert verwirrt.
»Zum Beispiel, um der Wirtschaft jetzt wieder auf die Beine zu helfen. Denn die Arbeitslosenzahlen steigen munter weiter, obwohl doch überhaupt keine Ausländer mehr da sind.«
»Das Ausländerproblem wird nie wirklich gelöst! Jetzt fangen nämlich die Probleme mit dem Ausland erst richtig an. Deswegen wird das Volk uns immer wieder wählen«, tönt Herbert wie der geborene Politiker. »Zurzeit versuchen wir, das Problem mit den Mischehen zu lösen!«
»Ach, sag bloß, wirklich? Ich hoffe, du weißt noch, dass Onkel Heinz auch mit einer Polin verheiratet ist.«
»Wir kommen nicht drum rum, bei diesen Mischehen auch dem deutschen Partner die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn sie sich nicht umgehend scheiden lassen.«
»Wie? Auch meinem Bruder Heinz?«
»Die beiden können nach der Scheidung selbstverständlich in wilder Ehe weiterleben. Wir haben doch keine andere Wahl. Wir müssen mit aller Härte dafür Sorge tragen, dass die frühere Reinheit unseres Blutes wieder erreicht wird!«
»Herbert, ich fass es nicht! Du willst nach 40 Jahren Ehe deine liebe Tante Olga also wieder zurück nach Warschau schicken? Die Olga ist deine Patentante! Du hast zur Kommunion ein teures Fahrrad von denen bekommen! Hast du das alles schon vergessen?«
»Mutter, derartige Mischehen bedrohen die nationale Sicherheit unseres Volkes! Aber vielleicht kann ich ja für Tante Olga schon was machen.«
»Meine Pfleger Meral, Ezgi und Nilgün musst du auch unbedingt zurückholen!«
»Ja, ähm … mal sehen …«
»Sonst müsst ihr mich pflegen. Ich warne euch, ich ziehe bei euch ein!«
»Nicht nur Döner- und Pizza-Verkäufer, auch die Pfleger müssen einen Sonderstatus bekommen«, stammelt Hilde angesichts dieser Drohung ganz schön blass um die Nase.
Meine Nase ist sicherlich nicht weniger blass. Wo mag mein Sohn nur sein?
»Osman, was hast du denn nun schon wieder?«, höre ich meine Frau wie aus dem Jenseits.
»Wo ist wohl Mehmet?«, frage ich.
»Ja, das wüsste ich auch gerne!«, sagt sie.
»Immer wenn ich an ihn denke, wird mir unglaublich schwindelig. Ob ich ernsthaft krank bin?«
»Die Kneipen sind voll mit Leuten, denen total schwindelig ist. Zudem müssen die auch noch kotzen, aber mach das bitte nicht nach! Für dich wäre das nämlich ein sicheres Anzeichen von Magen- und Darmkrebs im Endstadium. Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der ständig Darmspiegelungen machen lässt!«
»Aber Darmkrebsvorsorge ist doch sehr wichtig! Man muss sie immer wieder regelmäßig machen!«
»Ja, alle 5 oder 10 Jahre, und nicht wie du, alle 6 Monate! Alle normalen Menschen haben im Festnummernspeicher vom Telefon die Nummern von Freunden und Bekannten gespeichert, wir haben 20 Telefonnummern von Fachärzten!«
44 In diesem Moment klingelt das Telefon und aus 3000 Kilometern Entfernung rettet mich meine Tante Ülkü vor weiteren Diskussionen.
»Onkel Ömer und seinem Geschäft geht es hervorragend! Überzeug dich doch selber«, rufe ich dankbar und halte den Hörer in Richtung Onkel Ömer.
»Onkel-Ömer-Transports – es geht looos!
Wir bewegen Ihr Leben – von hier nach da,
Wenn’s sein muss – von Bremen nach Adana!
Wir packen’s an – sagen Sie mir nur wann,
Mit uns kommen Sie immer gut an!«
»Toll geht’s ihm, nicht wahr, Tante?«
An ihrer Stimme merke ich, dass sie nicht so guter Laune ist:
»Osman, dein Onkel sagte mir bei unserem letzten Gespräch, dass in Deutschland die Nazis an der Macht sind – stimmt das?«
Mist!
Mein Onkel weiß schon alles! Und ich Idiot spiele ihm hier seit Wochen Theater vor! Wie peinlich!
»Was heißt denn, die Nazis sind an der Macht?«, stottere ich verlegen und füge ein ziemlich bescheuertes »Gott gibt es, Gott nimmt es« hinzu und tue dann so, als wäre plötzlich die Verbindung weg:
»Tante, hallo, Tanteeee!«
»Ja, Osman, ich höre dich doch!«
»Tanteee, Tanteeee!«
»Osman, ich höre diiiich!!«
»Tanteeee!!«
»Osmaaaaann!!«
»Schade, die Verbindung ist weg«, seufze ich und lege auf.
Wie soll ich denn jetzt meinem Onkel wieder in die Augen schauen?
Was kann ich tun, damit er mir verzeiht??
Ich brauche nicht lange zu überlegen, mein Onkel tut das nämlich seinerseits für mich:
»Osman, verzeih mir bitte! Ich war gezwungen, deine Tante
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