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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Ohren.

28.
Käsederwisch
     
    »Vielleicht ein winziger Joghurt? Ein ... Öbstchen? Irgendwas kleines?«
    Hilde Pinguin bot einen bejammernswerten Anblick: Die Haare fielen ihr wirr ins Gesicht, die Stirn glänzte wie Lätta auf Holz, die Wangen waren eingefallen. Sie atmete flach und lehnte an der Betonsäule, an die sie der Kamikäse vor drei Stunden verwiesen hatte. Der drehte sich vor ihr im Kreis, mit ausgestreckten Armen, nicht übermäßig schnell, aber doch so rasch, daß ihm längst schwindlig sein mußte.
    Die Millionärin wußte nichts von Sufis, von Derwischen oder islamischer Mystik. Sie erkannte die Ausrufe nicht, die das irre Molkereiprodukt, aus Schriften des erleuchteten Ibn Arabi zitierend, ohne Unterlaß krächzte:
     
    In meinem Geist sinkt der Vollmond der Dunkelheit!
O Moschus! Vollmond! Zweige über den Dünen!
Wie grün die Zweige, hell der Mond!
In meinem Geist ...
    Vom Geist war nicht viel übrig. Der Takt aber stimmte.
    Der Kamikäse wußte, wann Hilde Pinguin, die sich aus Angst vor dem Dynamit und wegen furchtbarer Entkräftung nicht von der Stelle rührte, vor Nahrungs- und Schlafentzug in eine tiefe Ohnmacht sinken würde. Er hatte fest vor, den Moment zu nutzen, das heißt: sich bis dahin selbst an die Schwelle der Trance zu tanzen und dann mit ihr hinüberzugleiten ins Andere.
    Der Rasende hatte der Millionärin einiges von ihrem Schmuck abgenommen. Die Kettchen und Armreife, die ihm zehn- bis zwanzigfach zu groß waren, klirrten und klapperten an seinen spillerigen Gliedmaßen, während er kreiselte und sang.
    Was will er bloß, rätselte Hilde Pinguin, als sich ihr Blick verschleierte. Was ist das für ein Quatsch mit Moschus, den er jault? Wo bin ich, was geschieht mir, wo ist Clea, warum hilft mir ihr Vater nicht?
    Ohne es recht zu bemerken, entglitt sie murmelnd und mümmelnd sich selbst.

29.
Drüben
     
    Das erste, was Bernd Vollfenster in der Gegend auffiel, in die ihn der konzentrierte Anblick von Ohne Titel versetzt hatte, war, daß er seine Beine wieder nach eigenem Willen bewegen konnte. Rosalies Vater stand aufrecht, verlagerte sein Gewicht spielerisch ein wenig vom rechten aufs linke Bein und überblickte vom grünen Horizont bis zum roten Horizont, die einander einerseits gegenüberlagen und andererseits dasselbe waren, die ganze Gegend.
    »So sieht’s hier also aus. Schräg«, sagte die Exnuß. Auch der Kommunist, der Exteufel und der Exausgestoßene ließen Äußerungen wie »Ah ja«, »So, so« und »Ist ja gar nicht so schlimm« hören.
    Schlimm war es wirklich nicht, aber doch anders als alles, was diese Menschen je gesehen hatten, wach oder träumend. Die offene Eindrucksgesamtheit bestand weithin aus Brücken, die miteinander verstrebt und aneinandergehängt waren. Manche schienen breit wie Städte, lang wie Länder, zwischen schmaleren Auslegerbrücken, bewehrten Hängebrücken, großen gespannten Harfen. Die Pfeiler, an denen diese Bauten hingen, waren Wehrund Wohntürme, Zikkurate und Pilze aus Ziegelmauern oder Spannbeton, Marmor und Holz. Auf einer der Brücken stand die Gruppe der Neuankömmlinge und bemerkte schließlich, wie sich, zunächst nur als ferne Staubwolke auszumachen, eine mächtige Menge unbestimmbarer Gestalten von vorne auf sie zubewegte.

    »Sind noch verstreut. Einzelne ganz weit vorne«, erklärte der Kommunist, der die schärfsten Augen und die größte Weitsicht hatte, »an der Spitze, nur eine Handvoll, fahren Autos – kleine Jeeps, Geländefahrzeuge. Dahinter gibt’s welche auf Pferden ... die und der eigentliche Pulk liegen hunderte von Metern auseinander, würde ich sagen. Aber die ersten paar Dutzend erreichen uns bald.«
    »Das ist nicht gut«, sagte der Exteufel.
    »Kannst du erkennen, was das für welche sind?« fragte die Exnuß.
    »Sie tragen Spieße, Knüppel. Vielleicht auch Gewehre. Und es sind viele. Hunderte«, sagte der Kommunist und drehte sich dann um, nach dem rückwärtigen Gewirr weiterer Brücken, die über Treppen und Stege miteinander verbunden waren.
    »Seht ihr das Hochhaus da hinten?« Er streckte den Arm aus wie Moses, der das Rote Meer teilt, und wies damit auf ein hoch aufragendes Gebäude, das die vier Frankfurter kannten.
    »Das ist es«, erklärte Bernd Vollfenster. »Das ist das Hauptquartier des Geldes.«
    »Dann sollten wir versuchen«, sagte der Kommunist, »es zu erreichen und uns Zutritt zu verschaffen, bevor uns die Armee dort überrollt«, womit er wieder in die andere Richtung

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