Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
Vom Netzwerk:
Jahrzehnten ändern: Ein Anstieg der Geburtenrate auf 2,1 würde bedeuten, dass der Altenquotient bis 2050 statt auf 67,4 »nur« auf 53,5 Prozent ansteigt. Allerdings würde der Jugendquotient 2060 statt bei 30,9 bei 48,2 Prozent liegen und hätte damit wieder ein langfristig normales Niveau erreicht. Belastungen für die Jugend nimmt man auch lieber und leichter auf sich, denn sie sind auf die Zukunft gerichtet und nicht auf die Vergangenheit wie die Versorgung der Hochbetagten in Alten- und Pflegeheimen. 2060 wäre die Zahl der Kinder und Jugendlichen nahezu doppelt so hoch wie in der Basisprognose. Eine solche Umkehrung des demografischen Trends würde auf allen Gebieten erhebliche Wachstumsimpulse setzen.
    Doch warum soll das so sein? Es gibt schließlich keine rationale Begründung dafür, weshalb sich Individuen, Familien, ein Stamm, ein Volk überhaupt fortpflanzen. Völker gehen ja nicht nur unter durch Hungersnot, Krankheiten, Eroberung oder Genozid. Sie können auch still sterben. Wer fragt schon nach ihnen? Andere Stämme und Völker treten an ihre Stelle. Jeder muss selber entscheiden, ob er es für wertvoll erachtet, Nachkommen zu haben, dass seine Familie sich fortpflanzt und sein Volk in seiner kulturellen und physischen Eigenart eine Zukunft hat.
    In der Geschichte der Menschheit ist der »stille« Untergang von Völkern und Stämmen infolge mangelhafter Fruchtbarkeit gar keine Seltenheit. 9 Wenn jemand kein Interesse an eigenen Nachkommen hat, ist dies ganz alleine seine Sache genauso wie seine sexuelle Präferenz, sein künstlerischer Geschmack und seine Religion. Wissenschaftlich und soziologisch interessant aber bleibt die Frage, weshalb ein bestimmtes Volk in höherem Maße die Fortpflanzung verweigert als ein anderes. Für die Lebenden ist jedenfalls von Interesse, wie es auf der Welt weitergeht, wenn sie einmal nicht mehr dabei sein werden.
    Das Phänomen des Übergangs aus einer traditionalen Gesellschaft mit hoher Sterblichkeit und hohen Geburtenzahlen zu einer entwickelten Industriegesellschaft mit niedriger Sterblichkeit und
niedrigen Geburtenzahlen ist heute ausreichend erforscht und erklärt. Es tritt weltweit überall dort auf, wo sich die Wirtschaft dauerhaft günstig entwickelt. Allgemein anerkannte Erklärungsfaktoren sind
    • das Streben nach Erhöhung und Sicherung des Lebensstandards
    • die Vielfalt unterschiedlichster Lebensentwürfe in der modernen Welt, die eben auch zu Kindern und Familie in Konkurrenz stehen
    • die Loslösung der Alterssicherung von Nachkommen
    • der Umstand, dass Kinder von einem Vorsorge- und Ertragsfaktor zu einem Kostenfaktor werden
    • die Emanzipation und Erwerbstätigkeit der Frau
    • die abschreckenden Zwänge eines traditionellen Familienbildes
    • der Rückgang der religiösen Orientierung und damit das sinkende Interesse an der Zeit nach dem eigenen Tod.
    All dies macht den Wunsch nach weniger Kindern oder den gänzlichen Verzicht auf die eigene Familie verständlich, erklärt aber nicht, warum in Frankreich oder in den USA, aber auch in den nordeuropäischen Ländern die Geburtenrate deutlich höher ist als bei uns.
    Häufig wird vermutet, die Geburtenarmut sei auf einen Trend zur Ein-Kind-Familie zurückzuführen. Das ist unrichtig. Bei den Frauen in Deutschland, die überhaupt Kinder haben, ist die Verteilung auf Familiengrößen ziemlich stabil. Es dominiert die Zwei-Kind-Familie, und im Durchschnitt haben Frauen mit Kindern etwa 2,2 Kinder. Entscheidend ist der wachsende Anteil der lebenslang kinderlosen Frauen: Beim Geburtsjahrgang 1940 hatten 10,6 Prozent der Frauen lebenslang keine Kinder, beim Geburtsjahrgang 1965 waren es bereits über 30 Prozent, und dieser Anteil scheint sich in den jüngeren Geburtsjahrgängen weiter zu erhöhen. 10 Auch der Unterschied in der deutschen und französischen Geburtenrate kann wesentlich aus dem unterschiedlichen Anteil lebenslang kinderloser Frauen erklärt werden.

Die Folgen des Trends
    Diskutiert man über Demografie, so hat man es vor allem mit zwei Gruppen von Diskussionspartnern zu tun. Die einen fragen: »Wo liegt überhaupt das Problem?« Das sind die Vertreter des Multikultifeuilletons, die eine transnationale Menschheitszukunft erträumen und heimlich Trauer tragen, dass sie überhaupt als Deutsche geboren wurden. Die anderen sagen: »Man kann doch nichts tun, also braucht man auch nicht darüber zu jammern.« Das ist die Mehrheit der Politiker in allen Parteien, die sich lieber

Weitere Kostenlose Bücher