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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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gerührt. »Wir dürfen ja eigentlich kein Bargeld geben, aber hier haben Sie fünf Mark, die gebe ich Ihnen aus meinem Portemonnaie, ich weiß ja, daß Sie es nicht vertrinken .« Ich lasse Feldmann auf dem Fußabtreter der Mission liegen und mach mich auf zum Metzger.
    Das Fünfmarkstück in der Faust, betrete ich selbstbewußt den Laden. Es ist mein erstes Geldstück seit Hamburg, seit was weiß ich wie vielen tausend Schritten. Die Münze fühlt sich solide an, kompakt und fest. Durch und durch spüre ich ihren Wert. Sie macht mich hier zum Kunden, der Ansprüche hat und um nichts zu betteln braucht. Das Pfund Schweineleber kostet zwei Mark und 65 Pfennige. Ich kaufe anderthalb Pfund, es darf auch gern etwas mehr sein. Das Fräulein hinter den vielen Würsten und Schinken und Sülzen und Pasteten schenkt mir sogar ein Lächeln extra. Ihre Kollegin in der Konditorei von Munster war rot geworden vor Scham, als sie mir die Ware gab. Für ein paar Minuten war ich nun wieder ein ordentlicher Bürger, etwas verdreckt und stoppelbärtig zwar, aber mit einem glänzenden runden Metallstück in der Hand. Haste was, biste was, es ist wirklich so einfach.
    Am Gleis 2 liegt Feldmann in tiefem Schlaf, doch der Duft des frischen Fleisches reißt ihn aus seinen Träumen. Mir macht die Missionsschwester eine klare Hühnerbrühe ohne Ei. Ich quittiere dankbar und laß es mir schmecken. Bis zum Dienstschluß um 17 Uhr darf ich hierbleiben, erlaubt sie mir, ausnahmsweise.
    Alle halbe Stunde kommt ein Stadtstreicher herein und bittet um etwas zu essen. Eigentlich darf laut Vorschrift nur der ein Schmalzbrot bekommen, der sich ausweisen kann, aber die gute Schwester läßt bei ihren »Stammkunden« Nächstenliebe vor Bürokratie ergehen, denn vielen sind die Papiere angeblich gerade gestohlen worden. Einer setzt sich an meinen Tisch und schaut mir eine Weile grinsend zu, wie ich in meinem Tagebuch schreibe. »Na, Kollege«, fragt er nach einer Weile, »bist du am Dichten ?«
    Um 17 Uhr ist es dann soweit, ich muß gehen. Feldmann ist wieder einigermaßen bei Kräften, bis zum Zigeunerlager hält er sich tapfer auf den Beinen. »Hast es dir anders überlegt ?« begrüßt mich der Älteste vor seinem Wohnwagen, » willste doch mit uns ziehen?« Ich erzähle, was uns zugestoßen ist, aber er zeigt sich kaum erschüttert. »So ein Tier ist nur eine Last, wenn man auf der Reis ist .«
    Kaum zurück, werde ich wieder zum Wasserholen eingeteilt. Die Männer sind gerade vom Scherenschleifen heimgekehrt und spielen schon wieder Gitarre. Auch Barbara sitzt immer noch mit ihren schwarzen Augen am Fenster, als warte sie nur darauf, von einem Zigeunerprinzen entführt zu werden. Alles ist mir so absonderlich vertraut in dieser fremden Gesellschaft. Fast fühle ich mich hier zu Hause.
    Am nächsten Morgen quittiere ich noch schnell ein Schmalzbrot auf dem Bahnsteig, nach der Devise: »Was drin ist, ist drin«, und dann geht es auf zum zweiten Versuch, diese Stadt zu verlassen. Kaiserstraße, Pfaffenstieg, Landesrechnungshof, wir kennen die Strecke, Feldmann spürt seiner eigenen Fährte nach. Wie durch ein Wunder ist er fast wieder der alte. »Entweder du kommst morgen mit«, habe ich ihm gestern abend noch unterm Vordach des Wohnwagens ins Ohr geflüstert, »oder ich trag dich zum nächsten Teich und drücke dir den Kopf unter Wasser .« Das war hart gesagt, aber es war der ehrliche Ausdruck meiner Angst, daß dieser Unfall mir ein Motiv liefern könnte, meine Reise abzubrechen. Nicht einmal bis Holzminden zu kommen, so knapp vor diesem ersten Etappenziel aufzugeben, das hätte eine Niederlage für mich bedeutet, und die ganze Lauferei wäre für die Katz gewesen.
    Feldmann hat das wohl instinktiv begriffen. Tapfer trabt er neben mir aus der Stadt, die Hildesheimer Landstraße hoch, am Unfallort sind noch die Bremsspuren zu sehen, Glassplitter liegen am Straßenrand. Diesmal halte ich ihn fest an der Leine, und erst oben im Wald mache ich ihn los.
    Zum erstenmal auf dieser Reise gibt es ein Oben und Unten, zum erstenmal geht es richtig bergauf. Meinen Rucksack zieht es spürbar zu Tal, jeder Steigungsgrad drückt kiloschwer im Kreuz und in den Waden, und die Achillessehnen werden mit jedem Aufwärtsschritt zum Zerreißen gespannt. Jetzt weiß ich, wozu ich einen Wanderstock mithabe, er ist mir beim Aufstieg so nützlich wie ein drittes Bein.
    Der Himmel ist bedeckt. Mir fehlt die Sonne zur Orientierung, doch solange ich gegen die Steigung angehe,

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