Deutschland umsonst
stehen nämlich drei grüne Gestalten, gut getarnt am Waldrand, jeder bis an die Zähne bewaffnet, und spähen mit Ferngläsern in eben das Hainhausen hinunter, wo ich gerade meinen Fünf-Uhr-Tee zu mir genommen habe. Die drei winken mich zu sich in das Unterholz. Es sind offensichtlich Aufklärer der Gegenseite, des Manöverfeindes, die hier das Gelände ausspähen. Was ich denn da unten im Dorf so gesehen habe, wollen sie wissen. Während ich mir meine Vokabeln für die Antwort zurechtlege, zieht der eine ganz aufgeregt einen Notizblock aus der Brusttasche seines Kampfanzuges, um jedes meiner Worte genau mitzuschreiben. Ich komme mir ungeheuer wichtig vor. Endlich wollen mal Leute auch etwas von mir und nicht immer nur ich von ihnen. Das tut gut.
Gern gebe ich Auskunft: Da unten, sage ich bedeutungsvoll, ist alles streng geheim, das weiß ich von höchster Stelle. »Top secret «, notiert der Soldat. Zehn bis fünfzehn Zelte stehen gut getarnt auf einer Wiese, in einem läuft ein Generator auf Hochtouren, in einem anderen gibt es guten Tee, und der Koch kommt aus Manchester.
»Oh, Manchester«, sagt einer der drei, da wohnt seine Schwiegermutter. Die traurigste Information, die ich den drei Aufklärern geben kann, ist für sie die allerwichtigste. Es gibt da unten leider nur abgezählte Essensrationen für hundertzehn Personen. » Hundredandten people«, wiederholt mein Protokollant und haut seinen Kameraden vor Freude auf die Schultern. Damit wissen die Burschen nun genug über die Stärke des Gegners, vermutlich handelt es sich da um sein Hauptquartier, das man heute nacht angreifen will — » attack , you know : peng, peng, peng«, und wieder leuchten Kinderaugen. Ihr Aufklärungsauftrag ist damit erfüllt, jeder der drei drückt mir dankbar die Hand, » thanks a lot« — keine Ursache! Im Dauerlauf verschwinden sie im Wald und lassen mich mit meinem schlechten Gewissen stehen. Jetzt hat mir der freundliche Feldkoch da unten gerade einen Tee spendiert, und keine Stunde später verpfeife ich ihn und seine Kameraden.
Da ich kein Kriegsspielverderber sein will, nehme ich das Opfer auf mich und kehre noch einmal die beschwerlichen zwei Kilometer nach Hainhausen zurück, um dem Sergeant mit dem Schnauzer zu berichten, daß ich seine Geheimnisse verraten habe. Sofort vertieft sich seine Stirnfalte zu einer Schlucht. Damit das militärische Gleichgewicht wiederhergestellt wird, erkläre ich mich aber bereit, ihm mitzuteilen, für wann der Gegner den Angriff plant. » When ?« fragt der Offizier, und mit einemmal ist all seine Autorität dahin, so lächerlich ernst nimmt er mich, einen dahergelaufenen Zivilisten, der in die Rolle eines Doppelagenten gestolpert ist. Entsprechend selbstbewußt stelle ich nun meine Bedingungen: Da jede Information ihren Preis hat, wäre ich dankbar für eine warme Mahlzeit. Keine fünf Minuten später sitze ich im Offizierszelt vor dicken Bohnen mit Speck, und der gesamte Generalstab klebt an meinen Lippen, um zu erfahren, daß es heute abend losgehen soll mit dem »peng, peng, peng«.
Vor Paderborn werden die Wälder katholisch. Steinerne Gottesbildnisse und kleine, gemütliche Marienkapellen stehen an Wegen, auf Lichtungen oder dort, wo der »achtbare Jüngling« Martin Staebler , Bürgermeisterssohn , am 30. Mai 1912 von einem Baum erschlagen wurde. »Weinet nicht, Ihr christlichen Seelen«, ist unter dem Holzkreuz zu lesen, »sterben ist ja Menschenpflicht, aber bitte sprecht ein Vaterunser für mich an meiner Unglücksstelle .«
Besonders häufen sich die Kultstätten im Forst des katholischen Grafen von der Hinnenburg : Da kommt fast auf jeden Baum eine Madonna. Die alte Magd des Grafen bekreuzigt sich erst mal vor Schreck, als sie mich vor der schweren Eichentür des Schlosses stehen sieht. »Die Herrschaft ist nicht zu sprechen«, ruft sie ganz aufgeregt aus dem Fenster, »die Gräfinmutter ist doch vor einem halben Jahr erst gestorben .« »Herzliches Beileid.« Ich habe den Innenhof des Schlosses schon fast verlassen, da eilt sie mir mit einem Glas Milch in der Hand hinterher: »Sic kommen doch sicher aus dem Evangelischen«, sagt sie, mit einemmal ganz freundlich, »warum sind Sie dann nicht Pfarrer geworden, statt hier herumzuschwadronieren, da können Sie heiraten und Kinder kriegen, . und auf die Seligkeit brauchen Sie auch nicht zu verzichten .« Die Frage überrascht mich, und bevor mir eine passende Antwort einfällt, redet sie auch schon weiter.
Ob das nun stimmt
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