Deutschland umsonst
mit dem ewigen Leben oder einfach nur ein »Mumpitz« ist, das weiß sie natürlich nicht, aber sie geht lieber auf Nummer Sicher und glaubt an den Herrn, denn wenn er hoch oben im Himmel tatsächlich thront, steht sie besser da vor dem jüngsten Gericht, und gibt es keinen Gott, »mein Gott, dann fressen mich eben die Würmer«. Und sicher ist sicher, kramt sie mir eine Knackwurst aus der Schürze, denn »weiß der Teufel«, vielleicht bin ich ja ein Engel des Herrn, der die Nächstenliebe der Menschen auf die Probe stellt.
»Oder sind Sie etwa Sozi ?« fragt sie, während ich die Wurst im Rucksack verstaue; Religion und Politik gehören offensichtlich eng zusammen im Paderborner Land. Die Magd kümmert sich eigentlich gar nicht um »so was«, Politik ist ja auch Männersache, aber die Nazis hat sie auf Ehrenwort nicht gewählt, »das waren die Evangelischen aus Lippe«, und die Sozis will sie auch nicht, »die haben drüben gelernt, der Brandt in Spanien und der Wehner in Moskau«. Strauß, findet sie, ist ein »schlauer Bengel«, der Mao hat das bestätigt, und den Schmidt wird sie selbstverständlich nicht wählen, »da sei Gott vor«.
Es ist wieder heiß geworden. Über Nacht haben sich die Wolken verzogen, doch im Schatten der Bäume läßt es sich gut gehen. Im Wald vor Bad Driburg schwitzt Kumpel Reinhold aus Castrop-Rauxel auf dem Trimm-dich-Parcours. Der Bergmann ist auf » Reduktionskur «, zehn Klimmzüge sind sein Tagespensum auf der Station XI der Selbstertüchtigungsstrecke, aber er schafft nicht mal zwei, was sowohl an der Fettleber liegt als auch an der mageren Kost. 800 Kalorien darf er täglich essen, das sind drei Scheiben Brot und ein halbes Pfund Schichtkäse. »Drei Wochen mach ich den Quark nun schon mit«, klagt der Aufzugsschweißer von der Zeche Erin , Eisbein ist sein Lieblingsgericht, drum freut er sich auch schon auf die Heimfahrt. »Zu Haus, da mußte zwar malochen, aber Kohldampf schieben brauchste nich und mal einen zechen gehen darfste auch, woll ?«
Und weil anscheinend Hunger und Durst in Bad Driburg das Thema überhaupt ist — 16 Pfund hat Reinhold angeblich schon »abgespeckt« — , fragt er mich erst einmal, wie es denn so mit meinem Appetit steht, bei dreißig Kilometern am Tag, mit über zwanzig Kilo Gepäck, da verbrennt man ja ordentlich Kalorien. Ich erzähle von den Bohnen gestern in Hainhausen und der Knackwurst heute morgen auf der Hinneburg , und da bietet mir der Kurpatient aus lauter Mitgefühl gleich das Du an, der Hunger hat uns verbrüdert. Gemeinsam gehen wir hinab in die Stadt.
Mittagszeit, höchste Zeit für das nächste Quarkbrot. Reinhold verspricht, ein Wort im Knappschaftssanatorium für mich einzulegen. Dort verweist uns der Pförtner zum Küchenchef, und der Küchenchef zum Betriebsleiter, und der muß passen, die Menüs sind nicht nur knapp an Kalorien, sondern auch knapp kalkuliert, »leider Gottes«. Ich soll es doch mal in der Kaspar-Heinrich-Klinik nebenan probieren, vielleicht hätte ich da Glück. Auf dem Weg dorthin, Reinhold bringt mich bis zum Haupteingang, frage ich, ob ich ihn nicht mal besuchen kann in Castrop-Rauxel, ins Ruhrgebiet will ich ja auch, da könnten wir doch mal gemeinsam einen trinken, was hier verboten ist. Aber da wird der Kumpel plötzlich zum Bürger, aus Reinhold wird ein Herr Müller oder Herr Kowalski, und ich sehe schon die Tür von seinem Häuschen in der Zechensiedlung einen zaghaften Spalt breit aufgehen und sich so schnell wieder schließen, daß Reinhold gar keine Zeit hat, seinen Hungerkumpel vom Trimm-dich-Parcours überhaupt wiederzuerkennen. Der Sonntagsbraten duftet aus dem angelehnten Küchenfenster, gleichgültig hocken die Brieftauben auf der Dachrinne. Ohne einen Spatzen in der Hand werde ich weiterziehen müssen.
Der Küchenchef der Kaspar-Heinrich-Klinik ist zu Feldmanns Glück wieder mal ein großer Tierfreund. Anders als sein Kollege von der Royal Army, hat dieser Karl Mertens jedoch keine zwei irischen Setter, sondern einen Dackel, einen Schäferhund und einen Münsterländer. Persönlich serviert er Feldmann nur vom Besten: mageren Sauerbraten, fünfzehn bis zwanzig mundgerechte Scheiben, appetitlich garniert mit etwas Petersilie auf einer Edelmetallplatte. Feldmann läßt sich’s schmecken, mein Gesicht zieht sich in die Länge. »Haben Sie vielleicht auch Hunger ?« fragt endlich der Koch, nachdem mein Hund den letzten Bissen nur noch mit Würgen hinuntergebracht hat, und als ich nicke, ruft
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