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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Hände gestützt, döse ich dahin, rieche ganz deutlich Bratkartoffeln, werde von Anne Bimberg in die Arme genommen, liege in ihrer Badewanne. Plötzlich reißt mich grelles Flurlicht aus dem Halbschlaf. Ich höre Schritte, sie kommen näher, Schlüssel klimpern, aber dann schlägt unter mir, im zweiten oder dritten Stock, eine Tür, und ich bleibe allein. Nach einer Weile verlöscht das Licht wieder, die Nacht gähnt mich an, doch die Seßhaften sind noch nicht ganz zur Ruhe gekommen: Durch ihre Wohnungstüren dringt der Schrei eines Kindes, eine Lokusspülung rauscht, Eheleute keifen sich an, er nennt sie »Hure«, sie nennt ihn »Schwein«, ein Radio dudelt, Geschirr klappert. Steif vom Sitzen mache ich mich in meinem Schlafsack lang. Die Hoffnung auf Anne Bimberg habe ich aufgegeben, und irgendwie bin ich froh, daß mir nun meine Träume unbeschädigt erhalten bleiben.
    Das ferne Rasseln eines Weckers holt mich aus meinem Treppenhausschlaf. Zum Aufstehen habe ich keine Lust, zum Laufen habe ich keine Lust, ich fühle mich so schwer und unbeweglich, als hätte man mich über Nacht eingegipst, der Mund schmeckt nach Fäulnis. Bergisch-Gladbach — der Gedanke macht mich mutlos. Irgendwo auf der anderen Seite des Rheins, weit kann es nicht mehr sein, steht das Haus, das meinem Vater einmal gehört hat, ein neureicher Frachtbau mit allem, was in den sechziger Jahren so dazugehörte: Swimmingpool, Sauna, Bibliothek, Doppelgarage für den ersten und den zweiten Mercedes; sogar ein atomsicherer Bunker war im Keller, mit Notausgang in den Rhododendron. Aber sicher und geborgen war ich dort nie, mein Zimmer hatte für mich eher den Charakter einer Hotelunterkunft. Wenn ich in den Internatsferien herkam, war mein Vater meist auf Geschäftsreise, und meine Stiefmutter mochte ich nicht leiden. Vor über zehn Jahren mußte das Haus verkauft werden, denn mein Vater verlor seinen Direktorenposten. Weil er das üppige Leben nicht lassen konnte, ging er bald pleite.
    Widerwillig mache ich mich auf. Köln schläft noch. Eine Zeitungsfrau erklärt mir den Weg nach Bergisch-Gladbach. Auf der Mülheimer Brücke zerrt Feldmann aus einer verregneten Plastiktüte acht dicke, stinkende Schweinekoteletts, die er heißhungrig hinunterwürgt. Mich packt der Futterneid. Ich tröste mich mit der Hoffnung, vielleicht im ehemaligen Haus meines Vaters eine ordentliche Ration zu bekommen, denn da war immer das Beste gerade gut genug: aus Norwegen geräucherte Rentierschinken, aus Mailand rosinengespickter Topfkuchen und aus der Schweiz kartonweise Schokolade. Mein Vater war oft in seiner Geburtsstadt Basel und studierte dort, wohl auch er auf der Suche nach sich selbst, seine Familiengeschichte, die er bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgte. Im »Baseler Hof« hat er sich dann auch umgebracht, und auf dem Baseler Wolfgottesacker liegt er bei seinen Urahnen begraben.
    Die Mutzerstraße ist nicht wiederzuerkennen. Wo früher nur wenige Villen am Rande des Bergischen Landes lagen, drängeln sich heute die Wohlstandsbauten. Nach langem Suchen finde ich endlich das alte Holzachhaus . Es unterscheidet sich durch nichts von seinen Nachbarn. Bundesdeutscher Neoklassizismus, mit Marmortreppe und schmiedeeisernen Laternen zu beiden Seiten der Tür. Die Rhododendronbüsche sind groß geworden, das schiefergedeckte Dach ist vom Wetter ein wenig gezeichnet, ansonsten erscheint äußerlich alles so abweisendprächtig wie früher. Die eigentliche Veränderung aber sehe ich erst, als ich den Daumen schon fast auf der Klingel habe: » Strehl « lese ich da in Messing graviert, » Strehl « und nicht » Holzach «, und mir ist klar, daß ich hier nichts mehr zu suchen habe.

IV

    » Zückerschen lecken«, sagt mir der beleibte Mann im gemütlichen Singsang des Bergischen Landes, stemmt seine Fäuste in die zu enge Hose und den Bauch nach vorn, » Zückerschen lecken is bei uns nit drin, Schluckspeschte , Faultiere und diebische Elstern haben hier nix zu suchen .«
    Pudelnaß, hundemüde und hungrig wie ein Wolf stehe ich mit Feldmann im Büro eines Heimes, das den verheißungsvollen Namen »Haus Segenborn« trägt. »Arbeitslager« nannte man früher solche Einrichtungen treffender, in denen »Strafentlassene und Nichtseßhafte reintegriert werden«, wie es der Sozialarbeiter vom »Sozi« in Bergisch-Gladbach behauptet hatte, an den ich mich vor ein paar Tagen wegen einer »kleinen Unterstützung« wandte. »In Segenborn kommen Sie wieder auf die Beine«,

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