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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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was er meint, greift der Mann in seine Lederjacke und holt eine Handvoll funkelnder Digitaluhren heraus. »Karstadt«, sagt er stolz, »500 Mark im Vorbeigehen, dafür müßt ihr sechs Wochen die Hand aufhalten, ihr Flaschen. Ihr müßt angreifen !« Alle bestaunen wir die Ware, die uns der stolze Dieb wie eine Trophäe vor die Nase hält. Einer ist vom Fach und wagt die abschätzige Bemerkung »Ramsch«. Da zieht der Muskelmann ein giftgrünes Ding aus der Hosentasche, und mit scharfem Schnappen schnellt eine blitzende Klinge hervor. Sofort ist Ruhe. Mir fährt das Blut in die Schläfen. Abhaun ist mein einziger Gedanke, nichts wie weg von hier. Den Rucksack unterm Arm, das nasse Cape und den Stock in der Hand, flüchte ich in die Schalterhalle, laufe weiter über den Bahnhofsvorplatz, durch irgendeine Straße, rette mich unter irgendein Dach, das mir Schutz bietet vor dem Wetter. Auf feinen Kieselsteinen, neben einer großen Glasfassade, rolle ich meinen Schlafsack aus. Hinter den Fenstern sehe ich im Halbdunkel große Statuen stehen — sind es griechische, sind es römische, meinetwegen können es auch Schaufensterpuppen sein. Ob Museum oder Kaufhaus, Hauptsache, das Gebäude hat einen anständigen Vorbau, unter dem es sich trocken schlafen läßt. Für Sehenswürdigkeiten, wie diese vielleicht sehr bedeutenden Plastiken dort drinnen, bin ich blind, sie sagen mir nichts.
    Auch die Ruine der Kaiserpfalz von Kaiserswerth am Rhein besichtige ich nur, um während der Führung ein neues Nachtquartier auszuspähen. »Gebaut im Jahre... war die Kaiserpfalz eine der bedeutendsten Festungsanlagen nördlich des Mains«, doziert mir der Geschichtslehrer einer Düsseldorfer Schule ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus, »hier wurden zwei deutsche Kaiser gekrönt...« Leider haben die Franzosen die Burg im Jahre 1702 so gründlich zerstört, daß sich nirgendwo ein brauchbarer Platz zum Pennen findet.
    Vom Düsseldorfer Flughafen, wo ich in der Abflughalle Ausland eine warme, trockene Nacht verbracht habe, führt der schnellste Weg durch die Stadt nach Süden über die Königsallee. Ungeniert tragen hier Frauen spazieren, was ihre Männer jährlich an Steuern hinterziehen: Nerz, Ozelot und Chinchilla haben, lässig über die Schulter geworfen, das ganze Jahr Saison. Blasse Chauffeure warten versteinert in geparkten Limousinen, bis die Herrschaften von der Anprobe zurück sind. Eine zur Mumie geliftete Dame läßt sich vor » Selbach « links, rechts, links auf die dicke Schminke küssen. Die Bettler, die hier alle hundert Meter auf die Knie gegangen sind, sehen mit stumpfem, leblosem Blick durch die Passanten hindurch. Die Pfennige in ihren Hüten, Pappschachteln oder hingereichten Händen lassen sich im Vorbeigehen zählen. Zur erlösenden Rotweinbombe für 2,98 DM reicht es an diesem Vormittag noch bei keinem.
    Es treibt mich aus der Stadt, es zieht mich zu Anne Bimberg . In Köln-Weidenpesch , keine vierzig Kilometer von hier, wohnt die lustige Schnapsbrennerstochter , die mich beim Schützenfest in Drüpplingsen an der Ruhr vor etwa zwei Wochen so freigebig mit Johannisbeerlikör abgefüllt hat. Sie gab mir damals ihre Studienadresse in Köln mit auf den Weg, es könnte ja sein, daß ich da mal vorbeikomme.
    Der erregende Gedanke, bei diesem fremden Mädchen einzukehren und eine weiche Nacht zu verbringen, hält meine Füße auf Trab. Sie wird mich nicht abweisen können, mich, den mittellosen, heimatlosen, hilflosen Wanderer, auch wenn ich Köln erst mitten in der Nacht erreichen sollte. Jeden Wunsch wird sie mir von den hungrigen Augen ablesen, wie eine Mutter wird sie mich versorgen mit allem, was mir jetzt fehlt, mit Bratkartoffeln, einer Badewanne, einem Bett und vielleicht auch mit Liebe. Immer wieder aufs neue stelle ich mir die Szene vor, wie ich dastehe vor ihrer Tür, die Tür geht auf, und Anne Bimberg strahlt mich an.
    Aber Anne Bimberg ist nicht zu Hause. Erst klingle ich zögernd, dann läute ich Sturm, klopfe mit dem Knauf meines Stocks energisch gegen die Tür ihrer Dachgeschoßwohnung im vierten Stock des Mietshauses. Nichts rührt sich, die Tür geht nicht auf, niemand strahlt mich an. Erschöpft sacke ich auf die Stufen, erst jetzt spüre ich die vierzig Kilometer in den Beinen. Sicher ist sie im Kino oder in einem späten Seminar, rede ich mir gut zu, sie kann mich doch jetzt nicht einfach so sitzen lassen.
    Mit der Dämmerung verschwimmen die Konturen des Treppenhauses. Das Kinn auf beide

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