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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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im Rucksack.
    »Scheiß—spiel!« Nun liege ich chiantischwer unter der Kanalbrücke. Timms Angebot, bei ihm zu Hause zu schlafen, habe ich trotzig abgelehnt. Aber noch bevor es Tag wird, kommt der Kater. Das Bochumer Studentenheim ist hinter mir, mit Timm hab’ ich gut gegessen — was nun kommt, ist erneute Ungewißheit und Leere. Wie nach dem Verlassen meines Internats in Holzminden muß ich mich neu orientieren, mir neue Ziele setzen, und das fällt schwer. Bergisch-Gladbach, wo das inzwischen verkaufte Haus meines verstorbenen Vaters steht; Heppenheim, wo ich während meiner ersten sechs Lebensjahre herumgereicht wurde; München, wo meine Mutter als lustige Witwe lebt — all diese Orte schrecken mich mehr, als daß sie meinem Schritt Mut machen.
    Ohne Frühstück weiter durch Regen, Regen, Regen. In meinem Cape, die Kapuze bis auf ein kleines Guckloch zugeschnürt, fühle ich mich wie eine Schnecke in ihrem Haus. Meine Augen sind zu Sehschlitzen verkniffen, die nur den einen Meter vor mir sehen wollen, die Pfützen, den Stein und mehr nicht. Was links und rechts von mir liegt, davon nehme ich nichts mehr zur Kenntnis, Schiffe begegnen mir ungesehen, das Winken der Schiffer bleibt unbeantwortet, Ortschaften sind namenlos. Die Außenwelt ist wie abgestorben, aber auch in meinem Schneckenhaus will es mir nicht behaglich werden. Alles ist wieder klammnaß, alles ist wieder dumpf und taub, von den Fußsohlen bis hinauf zu den zusammengepreßten Lippen. Ich habe wieder Sehnsucht nach Freda, nach meinen eigenen vier Wänden, nach überschaubaren Verhältnissen, nach allem, wovor ich früher Angst hatte.
    Nur Feldmann ist wunschlos glücklich. Es macht mich rasend, daß er rein gar nichts spürt von meiner Niedergeschlagenheit. Ich könnte ihn treten, den Köter! Statt mich zu trösten, schnüffelt er mit pulsierender Nase aufgeregt an allem herum. Die Nässe, die mir so sehr zu schaffen macht, genießt er, weil durch sie die Welt erst richtig zu riechen beginnt.
    Duisburg-Ruhrort. Hier wird der Kanal zum Hafen. Ein Wald aus Kränen ragt in den dämmrigen Himmel. Bunte Öllachen treiben auf dem schwarzen Wasser. Träge scheuern sich die Schlepper an der Pier. Hamburg geht mir nicht aus dem Sinn.
    Frierend erreiche ich die Innenstadt. Die Bahnhofsmission hat schon geschlossen, aber im Wartesaal ist Hochbetrieb. Stadtstreicher vertrinken die Bettelbeute des Tages, Gastarbeiter reden mit Händen und Füßen aufeinander ein, alte Frauen spielen, die Hände voller Münzen, an Groschenautomaten um ein bißchen Glück, wartende Reisende, hier deutlich in der Minderheit, distanzieren sich in betont aufrechter Sitzhaltung hinter Kaffeetassen und aufgeschlagenen Zeitungen vom übrigen Geschehen.
    Umständlich schnüre ich mich gleich neben dem Eingang aus meiner Regenplane, und alles wartet gespannt, wer wohl darunter zum Vorschein kommt. »Ei, ei, der Rübezahl«, ruft ein vor Kraft strotzender Mann mit rotunterlaufenen Augen. Ich überhöre die spöttische Bemerkung, stelle mein Gepäck in die Ecke, lasse Feldmann davor Platz nehmen und verschwinde erst einmal auf der Toilette, um meinen dringendsten Bedürfnissen nachzugehen. Die Klotüren aber lassen sich nur öffnen, wenn man 30 Pfennige in den Verriegelungsautomaten geworfen hat. Eine Klofrau, die ich vielleicht hätte bereden können, ist nicht da. Statt dessen steht nur eine leider leere Untertasse für das Trinkgeld herum. Schon überlege ich mir, ob ich nicht über eine Tür klettern könnte, da kommt ein Mann, der sich problemlos mit drei Groschen dort Einlaß verschafft, wohin es auch mich drängt. Ich warte, bis er wieder herauskommt, und stelle flink meinen Fuß in die Tür. Früher waren Bahnhofstoiletten für mich das Unappetitlichste, was sich denken ließ, fast schlimmer noch als von Unbekannten benutztes Bettzeug. Und nun empfinde ich zu meiner Überraschung nicht den geringsten Ekel in dieser dumpfen Enge, die noch nach Vorgänger riecht. Meine Anpassung ans Wanderleben hat spürbare Fortschritte gemacht.
    So trinke ich auch, ohne lange zu zögern, aus dem Glas des Mannes mit den geröteten Augäpfeln, der mir spendabel den Rest seines Bieres überläßt. »Was bettelt ihr Penner euch so durchs Leben, ihr Feiglinge«, schimpft mein kräftiger Nachbar, der sich mit großen Geldscheinen bei seinen Saufkumpanen Respekt verschafft. »Ihr müßt angreifen, ihr müßt euch nehmen, was ihr braucht, nicht auf der Straße drum betteln .« Und damit gleich klar ist,

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