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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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so breit, daß ich alle seine vier Zähne zählen konnte. »Da muß ich auch hin, meiner Mutter soll es nicht gutgehen, die wohnt in St. Georg .«
    An der Imbißstube spendierte mir der Zimmermann großzügig ein Bier. »Wenn du Lust hast, walzen wir zusammen«, sagte er, »kannst was lernen bei mir, bist doch ein Linkmichel, so was seh ich gleich beim ersten Hinkieken .« Ein Linkmichel, also einer, der gerade seine ersten Gehversuche auf der Landstraße macht, wer ist das nicht im Vergleich zu Fred Eisfeld, dem »Fürsten der Straße«, wie er sich selbst gern nennt, der seit achtundzwanzig Jahren auf der Wanderschaft ist, der schon »überall« war, der »die Fremde kennt wie andere Leute nicht mal ihr Bett«.
    Ich war gespannt auf die Welt, die mir Fürst Eisfeld zu zeigen versprach, und wurde erst einmal kräftig enttäuscht, denn zunächst ging er mit mir ins Kino. Feldmann zwischen den Beinen, unser Gepäck auf den leeren Sitzen neben uns, sahen wir zu, wie John Wayne in der »Schlacht um Midway « den Fielden spielte.
    Aber noch bevor das Gemetzel richtig in Gang kam und die Japaner in ihren brennenden Jagdfliegern vom Himmel fielen wie die Fliegen, war Fred an meiner Seite fest eingeschlafen. Keine Bombenangriffe konnten ihn aus der Ruhe bringen, friedlich schnarchte er gegen die Maschinengewehrsalven an und wachte nicht wieder auf, bis der Vorhang gefallen war.
    Wortlos verließen wir das Kino. Draußen brannten schon die Straßenlaternen. Wohin jetzt? In die Pennerherberge der Mönche? Fred spielte den Entrüsteten: »Ich mach mich doch nicht mit dem Gesindel gleich«, sagte er, »wir Zimmermannsleute sind ehrbare Leute .« Also schlugen wir unser Nachtlager standesgemäß direkt gegenüber dem fürstlichen Sitz des Bischofs in einem schönen kleinen Park auf. Neben uns stand eine hohe Säule, von deren Spitze die heilige Maria milde auf uns herabblickte. Fred schnürte sein Bündel, den »Charlottenburger«, auf und legte Säge, Winkeleisen, Wasserwaage, Zollstock, Hammer, Zange, Rasierapparat, Ersatzklingen, Seife, zwei Flaschen Bier und ein Päckchen Tabak — kurz sein ganzes Hab und Gut neben sich und seinen griffbereiten Knotenstock, die »Stenze«, und kroch, so wie er war, den Hut noch auf dem Kopf, in seine zahlreichen Decken.
    Während er sich, auf den Ellbogen gestützt, eine Zigarette drehte, begann er mit seiner rauhen Stimme von achtundzwanzig Jahren Wanderschaft zu erzählen. »Als ich vor langer Zeit mal nach Afrika kam«, begann der Zimmermann, »da gab es noch kaum Weiße in Aberdajan , einer großen Stadt an der Küste. Dort hab ich für das erste Hotel den Dachstuhl gezimmert, und ich sage dir, bei fünfzig Grad in praller Sonne ist das n schwerer Job .« Der Häuptling vom Stamme der » Talim « war von Freds Arbeit dann so begeistert, daß er ihm seine eigene Tochter zur Frau geben wollte. »Noch heute schreibt er mir Postkarten, ich könnte da jederzeit wieder hin, aber in meinem Alter vertrag ich die Hitze nicht mehr .« Heiß war es auch in Australien. Durch endlose Wüsten ist er gezogen mit Säge, Winkeleisen und Wasserwaage, hat nur von Kaktusfleisch gelebt, denn die Ureinwohner konnten ihn nicht gebrauchen. »Australien«, warnte mich Fred, »Australien kannste vergessen !« Mit Indien dagegen hat Fred gute Erfahrungen gemacht. Er war dort im Tempelbau beschäftigt, und eine Brücke über den Ganges ist auch von ihm. »Die Leute sind zwar sehr gutmütig dort, doch vor den Löwen mußt du dich in acht nehmen, vor allem, wenn du nachts im Freien schläfst .«
    Na, und dann Rußland: »Ein großes Land, ein riesiges Land, mit riesigen Wäldern, riesigen Seen und reich! Speck ist da für dich in jedem Bauernhaus, als Fremder stehn dir alle Türen offen, die Leute geben, was sie haben .« Grenzprobleme sind Fred Eisfeld fremd. Mit seinem Wanderbuch und dem Zunftausweis kommt er überall durch. Dieses Wanderbuch ist ein zweckentfremdetes Vokabelheft. Jeder Handwerksmeister, der Fred unterwegs beschäftigt hat, drückt dort seinen Firmenstempel hinein und quittiert, daß der Zimmermann mal für 100, mal für 200 Mark bei ihm gearbeitet hat. Aber auch weibliche Reisebekanntschaften bestätigen dort, wie gut Fred zu ihnen war, mit Paßbild und Unterschrift. »Wir Wandergesellen kommen gut an bei den Frauen«, wußte Fred, »uns kennt keiner im Dorf, und morgen schon sind wir wieder weg, das zieht besser als blanke Zähne und ein voller Geldsack .« So erzählte er bis in die tiefe Nacht

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