Deutschland umsonst
eine wirre, unglaubliche, verrückte Geschichte nach der anderen, von denen kein einziges Wort gelogen war, weil sie alle die Welt des Fred Eisfeld wahrheitsgetreu widerspiegelten.
Am frühen Morgen ging es aus der Stadt. So um die achtzig bis neunzig Kilometer würde er an einem Tag zurücklegen, hatte Fred noch am Abend verkündet, durch Australien sei er in 14 Tagen gegangen. Nun war Eichstätt noch in Sichtweite, da mußte der Wandergeselle bereits die erste Pause einlegen, um sich »eine zu drehen«. Aus einer wurden drei, Fred schien keine besondere Eile mehr zu haben mit seiner kranken Mutter. Auch war es ihm ziemlich gleichgültig, in welche Richtung er ging, »irgendwie kommen wir schon an«, sagte er aus 28jähriger Wandererfahrung , »irgendwo ist immer was zu holen«.
Bis wir nach knapp fünf Kilometern das erste Dorf erreichten, wurde es Mittag. Erneute Zigarettenpause im Schatten der Kirchlinde. Fred stand der Schweiß auf der Stirn, die schwere, schwarze Zunftkleidung heizte ihm ordentlich ein, aber er war nicht bereit, den Schlips zu lockern, das wäre gegen seine »Zimmermannsehre« gegangen — nicht zufällig heißt der schwarze Binder, in dem eine Messingnadel mit den Symbolen des Zimmerhandwerks steckt, im Zunftjargon die »Ehrbarkeit«. Gegenüber der Kirche wurde gebaut. »Ich rieche da was«, sagte Fred und faßte sich an die Nase, »da drüben ist was zu holen, halt du dich im Hintergrund, ich mach das schon .« Dies war seine Stunde. Auf der Baustelle turnten wir mit vollem Gepäck über eine Leiter zu den Zimmerleuten, die gerade an der Dachkonstruktion arbeiteten. Fred wußte sofort, an wen er sich zu wenden hatte: »Mit Gunst und Verlaub — hoch lebe die ehrbare Zimmerei — Bau, Holz und Ehre !« Mit einem Schlag war das Klopfen der Hämmer verstummt. Die Männer fielen aus allen Wolken und staunten uns an, als seien da zwei Burschen direkt aus dem Deutschen Museum in München entlaufen. Selbstsicher wie ein Heldenbariton holte Fred Atem zum nächsten Satz: »Liebe Brüder! Es erscheint hier ein fremdgeschriebener Zimmermann mit seinem Gehilfen. Wir sind auf Fußpaketen zünftig unterwegs durch die runde Welt zur Ehre und Preis des Handwerks .« Den Männern vom Bau hatte es die Sprache verschlagen. Fred schien nichts anderes erwartet zu haben. Ruhig wandte er sich an einen Mann mit schwarzem Mecki . »Lieber Meister, wir erbitten nach altem Handwerksbrauch eine rechtschaffene Arbeit, da uns der Gulden ausgeht. Laß uns nicht sacken, denn das Wochenende steht vor der Tür. Mir macht das weniger, aber ich habe einen jungen Wandergesellen aufgenommen, als Lehrling und Handlanger, und da ich sorgen muß für ihn, daß er nicht darbt, nicht hungert und durstet, bitt ich Euch, jag uns nicht davon mit leerem Sack. Wir nehmen jede Arbeit an, auch wenns mit der Schaufel ist. Gott gelobe das ewige Handwerk .«
Freds bühnenreifer Vortrag verfehlte seine Wirkung nicht. Der Meister brauchte etwas Zeit, bis er sich wieder gefaßt hatte. Geschickt nutzte Fred sein kurzes Zögern und reichte ihm das illustre Wanderbuch. »Ja so«, staunte der Chef mit leichtem Kopfschütteln und blätterte durch die vielen Stempel und Paßfotos. Gelassen drehte sich Fred eine Zigarette. Sein Lächeln zeigte mir, daß wir hier »mit leerem Sack« sicher nicht würden davonziehen müssen. Zimmermannsarbeit sei für uns zwar keine da, sagte der Meister nach der flüchtigen Lektüre des Vokabelhefts, aber die Betoneinschalungen müßten auseinandergeschraubt und gestapelt werden. »Alsdann, frischauf ans Werk«, triumphierte Fred Eisfeld, spuckte in die Hände und lockerte seine »Ehrbarkeit« nun doch ein wenig.
Während einer der vielen Zigarettenpausen verriet mir Fred, was geschehe, wenn ihm ein Meister beim Vorsprechen einen Korb gibt. »Sie lassen uns ziehen, wie wir gekommen«, lautet dann der fällige Spruch, »also schreib ich drei Kreuze, und dies Haus wird sein ein Fraß der Käuze. Auf Nimmerwiedersehen.« Keins der Häuser steht noch, vor die Fred seine Kreuze gemacht hat, »entweder es trifft sie der Blitz, oder es bricht ein Feuer aus, oder es fällt einfach in sich zusammen«. Aber solche Fälle sind selten, denn der Zimmermann arbeitet mit »Hypnose — ich treib den Leuten mein Anliegen ins Hirn«.
War dieser Fred Eisfeld ein Träumer, ein Narr, ein armer Irrer? Von all den vielen Geschichten, die er mir während der sieben Tage unserer gemeinsamen Wanderschaft erzählte, hab ich nur eine geglaubt,
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