Deutschland umsonst
Blick feststellen: Dort, wo Helmut Schmidt wahlkämpferisch von den Telegrafenmasten lächelte, war man evangelisch, dort, wo Franz Josef Strauß Kanzler werden wollte, katholisch. Zunächst fühlte ich mich in den Schmidt-Gemeinden weniger fremd, denn beim Anblick der Lotsenmütze meinte ich manchmal, die Schiffssirenen des Hamburger Hafens zu hören, während das zähnebleckende Lächeln des Bayern auf mich in erster Linie gefräßig wirkte. Doch so sehr ich mich auch darüber ärgerte: In den Krankenhausküchen und Rathausstuben wurde ich von den CSUlern oft besser bedient als von den eigenen Genossen.
Bei den Bauern allerdings hatte ich es, unabhängig von der Konfession, grundsätzlich schwerer. Die Ernte war gerade eingebracht, die Scheunen bis unters Dach gefüllt, die Feuergefahr schien den meisten zu groß, als daß sie einem dahergelaufenen Fremden ein Obdach geben mochten.
Zusätzliche Beschwerlichkeiten brachten das Wetter, die Nässe, die Kälte. Nach einem Nachtfrost war der Herbst plötzlich da, und an den sich färbenden Wäldern konnte ich mich nicht recht erfreuen. Ich dachte an den nahenden Winter und den langen Weg, der noch vor mir und Feldmann lag und der mir in jeder durchfrorenen Nacht immer länger zu werden schien. Baubuden, Hochstände, Schrebergartenhäuschen — alles, was ein Dach hatte und sich in genügender Distanz zur nächsten Siedlung befand, erschien mir als Lager brauchbar. Schwierig war oft der Zugang, denn meistens lag der Schlüssel nicht unter der Matte oder in der Regenrinne, ich mußte also zu andern Mitteln greifen, um hereinzukommen. Nach meinem ersten Bruch schrieb ich — am Tatort — in mein Tagebuch: »126. Tag. Irgendwo im Steigerwald. Ich sitze in einem fremden Haus und habe Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich richtig eingebrochen, um ein halbwegs warmes und trockenes Quartier zu haben heute nacht. Ein gemütliches, komfortables Wohnhäuschen mit Dusche, Sofa, elektrischer Heizung. Leider sind Wasser und Strom abgestellt. Aber Hauptsache, das Sofa ist weich und ich bin vor diesem verdammten Dauerregen geschützt, der mich heute den ganzen Tag fast zum Wahnsinn trieb. Ich habe Angst, der Eigentümer erscheint doch noch — verlängertes Wochenende, heute müßte Donnerstag sein oder sogar schon Freitag. Ich versuche möglichst keine Fingerabdrücke zu hinterlassen und nichts zu verändern. Ich bin ein Einbrecher. Das kleine Küchenfenster ließ sich ganz leicht mit dem Ellenbogen eindrücken, nachdem ich mich endlich überwunden hatte. Es gab kaum Lärm, kaum Scherben, keine Sirene heulte, kein Blaulicht blitzte, alles war viel harmloser, als ich es mir vorgestellt hatte.
Nun schreibe ich auf der geblümten Wachstischdecke im Schein des Teelichts. Ich traue mich nicht, von meinen Äpfeln zu essen, ich traue mir nicht mal die nassen Schuhe auszuziehen. Wenn jemand kommt, muß ich sofort wieder durchs Fenster raus, sonst sterben wir alle am Herzschlag. Nur Feldmann hat, wie immer in brenzligen Situationen, die Ruhe weg. Er ist satt und zufrieden (Pansen vom Schlachter), er macht es sich selber warm, den Kopf auf den Hinterpfoten, er pennt und schnarcht beruhigend gleichmäßig vor sich hin. Ich hoffe nur, daß ich auch ein Auge zubekomme, hier am Tisch, den Kopf auf der Wachstischdecke. Hoffentlich geht die Nacht schnell rum !«
Es wurde eine schlaflose Nacht. Lange vor dem Hellwerden stahl ich mich wieder davon. Aber schon beim zweiten Bruch, ein paar Tage später, war mir wohler, ich hinterließ sogar einen meiner schönen Äpfel als Miete nach ruhiger Nacht, und für ein schlechtes Gewissen war es draußen bald viel zu kalt.
In Kitzingen mußte ich auf die Polizeiwache zum »Durchleuchten«. Anders war kein Hineinkommen ins städtische Übernachtungsasyl. Beim Anblick des Uniformierten dachte ich an den Steigerwald, und mir war nicht wohl dabei; vielleicht hatte mich ja doch jemand gesehen. »Papiere ?« fragte der Wachtmeister eher gelangweilt. Für ihn schien die Sache reine Routine. Das kurze Telefonat mit dem Computer brachte keine Erkenntnisse. Ich bekam meinen »Überprüfungsnachweis« für die Penne. Mit dieser »Eintrittskarte« ging es über den Main in den Ostteil der Stadt. Mitten im Asozialengetto war die Egerländerstraße 24.
Martha, die Verwalterin, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie uns kommen sah. »Mit Hund«, schrie sie, und ihre beiden Pudel kläfften hysterisch. Die Hundefreundin konnte dann doch nicht hart
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