Deutschland umsonst
nämlich die von seiner Frau, der er vor dreißig Jahren das Jawort gegeben hatte, damals war er noch Schiffszimmermann bei Blohm & Voß in Hamburg. Jeden Morgen hatte er die U-Bahn von St. Georg zum Hafen genommen, jede Woche hatte er für eine Mark im Lotto gespielt, und auf dem Rummel, dem Hamburger Dom, hatte er am liebsten gebrannte Mandeln gegessen. Doch dann, nach zwei Jahren Ehe, kam das große Unglück, die Frau starb, und Fred war nach der Beerdigung nicht mehr nach Hause gegangen, »da hatte ich doch nichts mehr verloren«, sondern über die Elbbrücken.
Achtundzwanzig Jahre ist das nun her, und seit achtundzwanzig Jahren hat sich an seiner Lage nichts geändert. Die kranke Mutter, von der er mir am ersten Tag erzählte, war am nächsten Tage schon lange tot, nun wollte er seinem besten Freund in der Heide beim Schafehüten helfen, und irgendwann fragte er sich sogar, ob es nicht doch am besten wäre, wenn er in Aberdajan die Häuptlingstochter heiratete. Fred wußte ganz und gar nicht wohin, er hatte täglich neue Ausflüchte, er ging, weil er gehen mußte, weil es ihn umtrieb, er lief vor sich selbst weg, der »Fürst der Straße« war sein eigener Knecht, die große Freiheit ein grenzenloses Gefängnis. Dies war Freds Lage, von der er aber nichts wissen wollte. Weltfremd geworden, verkleidete er sich in die museale Tracht des zünftigen Handwerksburschen, sprach von Gulden und Geldsack, von Fußpaketen und Zimmermannsehre, und bei alledem war er froh, wenn es nach zwei Tagen Aushilfsarbeit am Bau, auf dem Acker oder in der Tischlerei mit ein paar Scheinen weiterging ins nächste Dorf.
Aus der gemeinsamen Wanderung nach Hamburg wurde nichts. Noch vor Weißenburg war es soweit. Eines Morgens erwachte ich, und der Zimmermann war verschwunden, nur ein paar Zigarettenstummel lagen herum.
Am Abend zuvor hatte es Streit zwischen uns gegeben. Vor einem Gasthof standen zwei große Busse aus Köln, und Fred witterte seine Chance. Was nun kommen sollte, war mir aus der gemeinsamen Wegerfahrung mit dem Fürsten klar: rein in die Gaststube, dreimal mit dem Wanderstock auf die Erde geschlagen, warten bis absolute Ruhe herrscht, dann der Spruch: »Mit Gunst, Glück herein! Gott ehre das ehrbare Handwerk! Ein reisender Zimmermann und sein Gehilfe drückt der leere Magen...« Dann kreist der breite Zimmermannshut , Münzen klimpern wie bei der Kollekte, hat der erste was gegeben, so geben alle, »fix bedankt«, und für die nächsten zwei Tage war das Leben wieder gesichert.
Doch es kam ganz anders. In dem Moment, als wir den Gastraum betraten, standen die Kölner Reisenden auf und verließen mit großem Alaaf die Wirtschaft. Fred war die Schau gestohlen. Wütend beschuldigte er mich, daß ich ihm die Kundschaft vergrault hätte. Mit meinen ungekämmten Haaren, meiner geflickten Lederjacke, meinen schmutzigen Hosen sähe ich aus wie ein Indianer, behauptete er, und Indianer paßten nun mal nicht an die Seite des »ehrbaren Handwerksburschen«.
Auch ohne dieses Pech im Gasthaus wären wir nicht mehr lange zusammengeblieben. Schneller als erwartet wurden wir uns lästig. Mich störten Freds pausenlose Bevormundungen (»Ich sorg für dich, dafür tust du, was ich sage«), und auf die Dauer hielt ich auch die verrückten Geschichten des Prahlhans nicht mehr aus. Es machte mir ein sadistisches Vergnügen, meinen Weggefährten immer wieder durch kritische Fragen und besserwisserische Richtigstellungen zu verunsichern, bis er sich in seiner Traumwelt von mir ernsthaft bedroht fühlte. Er wollte es einfach nicht wahrhaben, daß es die Stadt Aberdajan in Afrika sowenig gab wie Löwen in Indien, er wollte mit der Wirklichkeit nicht konfrontiert werden, um die er sich seit achtundzwanzig Jahren mühsam herumgedrückt hatte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich eines Nachts einfach aus dem Staub zu machen. Ich hätte mich an seiner Stelle nicht anders verhalten, und einen Moment lang war ich froh, daß niemand an meiner Seite ging, der mir unbequeme Fragen stellte und meine Lebenslügen aufdeckte.
Das Gehen wurde beschwerlicher im Frankenland, dort wo Bayern nicht mehr Bayern ist; die rein katholischen Gegenden lagen hinter mir, die Klöster und Schwesternhäuser wurden seltener, die Konfessionen wechselten von Dorf zu Dorf, von Kleinstadt zu Kleinstadt. Dornheim, Krassolzheim , Nenzenheim , Hüttenheim, Mönchsondheim , Willanzheim , Mainbernheim — welchem Glauben die Bewohner angehörten, ließ sich auf einen
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