Deutschlandflug
Schweigen des Ministers und dem Vermerk, man wisse nun, wieviel ihm das Leben seiner Piloten wert sei, folgte am 4. Oktober 1973 eine Antwort.
Wie zu erwarten, erging sie sich in allgemeinen Floskeln über die Sorge um Sicherheit, die auch ein Anliegen der Regierung sei, um Mißverständnisse, die zu Fehlleitungen der Schriftstücke geführt hätten. Der Minister fuhr fort:
›Ein wichtiger Bestandteil unseres Sicherungssystems ist die Sammlung und Auswertung aller sicherheitsrelevanten Informationen und Erkenntnisse. Sie werden von den Sicherheitsdiensten gewonnen und dienen als Grundlage für die Beurteilung der jeweiligen Gefahrenlage. Darauf abgestimmt, werden dann von meinem Hause die jeweils erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Der Vollzug im einzelnen, für den die Luftaufsichts- und Sicherheitsbehörden der Länder zuständig sind, wird von meinem Haus gelenkt und koordiniert. Die in Betracht kommenden Maßnahmen zum Schutze von Personen und Sachen sind in dem Rahmenplan Luftsicherheit abstrakt erfaßt.‹
… Winzige Nebelfetzen trieben über Landebahnen und Grasflächen. Im Abenddunst wirkten dadurch die Grünstreifen wie grünweiße Fahnentücher. Der Abend zeichnete sich durch eine Mischung aus verdämmerndem Licht und tiefen, satten Schatten aus. Der Verkehr war abgeebbt. Aus dem Frieden des scheidenden Tages ragte wie ein drohendes Mahnmal das kreisrunde Gebäude. Würde der Tag mit Massaker und Katastrophen enden?
Bloch beantwortete den ›Selcal‹ -Ruf; Gundolf meldete sich.
»Ich habe eine Bitte: Ich würde gern mal mit meiner Frau sprechen. Es kann auch später sein, wenn Ihr gerade zu tun habt.«
»Wir haben aber nichts zu tun. Drehen Däumchen und pendeln zwischen Ostsee und Alpen. Wunderhübscher Sightseeing-Flug. Kann mir nichts Schöneres vorstellen. Moment, ich lasse sie mal ins Cockpit bitten!« Zu Mahlberg: »Versuchen Sie mal, die Gundolf nach vorn zu kriegen.«
Mahlberg schaltete an der komplizierten Kabineninterphonanlage, die das Cockpit mit den einzelnen Stewardessenstationen verband, erwischte aber die falsche:
»Frau Gundolf nicht da?«
»Die Margot? Ist gerade nach hinten gesaust, um einen verdächtigen Käserest zu zerstückeln. Soll irgendwie schon mal durchschnitten aussehen! Wir finden die Bombe doch nie. Ich habe Angst!«
»Nur Mut, Mädchen: wir auch!« antwortete Mahlberg und drückte jetzt eine blaue Lichttaste mit der Aufschrift AFT.
»Hier Gundolf, was gibt's?«
»Hab' ein Ferngespräch für Sie. Ihr Mann ist am Apparat und möchte Sie sprechen.«
»Komme!«
Vorn, mit dem Blick auf das diesige Hamburg, auf die Nebelschlange, die formgetreu durch das Bett der Elbe kroch, vertröstete Bloch:
»Momentchen noch! Sie eilt schon herbei! Wie gehen die Arbeiten zu unserer Rettung voran?«
»Planmäßig, planmäßig. Die Polizei hofft zuversichtlich, bald im Besitz der Lageskizze zu sein!«
»So sehr eilt es ja nun auch wieder nicht!« gab Bloch mit preisreifer Ironie von sich. »Wir haben noch für über vier Flugstunden Reserven! Ah … hier kommt sie!«
»Margot?« fragte Thomas leise an.
»Hier … (die Stimme Mahlbergs), Sie müssen hier drücken, sonst …«
»… Thomas?«
»Wie geht es dir, Liebling?«
Die Stimme, von der er nicht gewußt hatte, ob er sie jemals wieder hören würde, ließ ihn alle Hemmungen vergessen.
Margot antwortete:
»Ach, Thomas: Ich habe nicht das Zeug zur Heldin! Mir geht's beschissen!«
»Ich weiß! Aber die Polizei arbeitet auf Hochtouren. Es wird klappen!«
»Es muß klappen! Ich habe einfach keine Lust, heute abend zu sterben – in 41.000 Fuß über Deutschland! Gerade jetzt, wo es zwischen uns so schön …«
Die Stimme verstarb; Margot Gundolf schien alle Hemmungen abgelegt zu haben. Bloch schaltete sich ein:
»Sie müssen hier drücken, gnädige Frau!«
»Margot?«
»Hier bin ich … Dieses Scheißmikrofon …« Sie schien geweint zu haben. »Thomas?«
»Ja?«
»Ich liebe dich!«
»Ich dich auch, Margot! Wir werden es schaffen! Ich schwöre dir: Wir werden euch alle rausholen …«
»Lebendig? Bitte lebendig! Ich will, ich möchte …«
»Hier AVI 434; wir erwarten, um 37 über Charlie anzu kommen. Wir haben achtundachtzig Passagiere aus Tunis an Bord, alles wohlauf! Wie ist das Wetter?«
Und Gundolf unterbrach sein Privatgespräch und gab das Wetter von Main-Spessart durch:
»0.70 mit 6,3 km, keine Bewölkung, Luftdruck 1.019, keine Änderung.« Dann fuhr er fort: »Margot? Hier bin
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