Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Allermann klingelte ein Telefonapparat. Mit behutsamen Schlückchen trinkend, sah Gundolf ihn über seinen Glasrand erwartungsvoll an.
    »Ja, natürlich! Er ist hier. Moment bitte!« Allermann hielt ihm den Hörer hin und deckte die Sprechmuschel zu. »Da ist der Polizeipräsident persönlich!«
    Gundolf sah Allermann an.
    »Der Polizeipräsident?«
    »Offenbar wegen der Bombensache. Wie gesagt: persönlich!«
    Als wolle er seine Beunruhigung abreagieren, entgegnete er unwirsch: »Wenn es der Polizeipräsident ist, dann ist er es doch immer persönlich! Was sonst?«
    Dann nahm er, voller banger Ahnungen, den Hörer entgegen.
    Rut Bloch hatte Wiesbaden passiert und fuhr auf Eltville zu. Der Morgen versprach, herrlich zu werden. Nebelfelder in den Niederungen, aber makelloser Himmel. Sichtbehinderungen, die die Kopfweiden wie Gnomen erscheinen ließen. Der angesagte Nebel war im Rhein-Spessart-Gebiet weitaus intensiver gewesen, als die klug redenden Fernsehmeteorologen vorausgesehen hatten; aber er hob sich, langsam und stetig wie ein dickes Luftschiff. Er würde im Lauf des Vormittags in Hochnebel übergehen und den Deutschen einen wunderbaren Frühlingstag bescheren.
    Rut wechselte aufgekratzt zwischen Gaspedal und Bremse, das Rheingaugebirge hatte es in sich mit seinen Nebenstraßen, die sie so liebte. Sie sah Rebhühner von einem Acker auffliegen. Nebelschwaden hoben sich aus dem Olivgrün der Weiden und Bruchwiesen.
    Damals, als sie noch glaubte, alles ließe sich reparieren wie ein defekter Gartenschlauch, hatte sie davon geträumt, wie er gegen Abend über die Taunuswiesen ging, auf denen Hundsveilchen, Schlangenknöterich, Engelwurz und Kleiner Baldrian blühten. Er würde ihr einen Strauß wilder Wiesenblumen pflücken, die sie mehr liebte als das künstlich gezogene Treibhauszeugs, das er für teures Geld besorgen ließ. Sie saß oft am Terrassenfenster und hoffte, seine imposante Gestalt zwischen den Binsen und Gräsern zu entdecken. (Er hockte längst im ›Goldenen Hirsch‹ am Stammtisch; er wollte in den Gemeinderat.) Abendwolken trieben vorüber. Die Schatten der Spaziergänger hatten sich verlängert. Sie hoffte immer noch, ihn mit einem buntgemischten Strauß aus Dotterblumen, Labkraut, Färberscharte, Sumpfsiegwurz, Natternkopf und Geflecktem Knabenkraut auftauchen zu sehen. (Er rief gerade: Und ex! Und ich sage euch: Der Willy wird sich an seiner eigenen blutroten Farbe infizieren, Leute, wirklich. So geht das nicht weiter.)
    Sie bog jetzt auf die Umgehungsstraße Eltville ein. Der gemütliche Weinort. Sie schmatzte mit den Lippen und sah auf die Armbanduhr, die er ihr aus den Duty-free-Häfen des Orients mitgebracht hatte: Seiko Touristique. Es war Zeit für eine Erfrischung.
    Sie steuerte eine Weinprobierstube an, genoß den riesigen leeren Parkplatz, setzte sich an einen der zahlreichen leeren Tische und wartete lange. Eine verschlampte Wirtin schlurfte mißmutig herbei:
    »Frühstück?«
    »Nur ein Glas Wein. Hiesigen.«
    »Jetzt?«
    »Jetzt!«
    Das verhutzelte, leidgeplagte Weiblein sah sie lange Zeit andächtig an.
    »You – Ami?«
    »Me – German!«
    Als genüge ihr diese Antwort zur Bestätigung ihrer Vermutung, schlurfte sie, wie sie gekommen war, widerspruchslos davon. Rut gab sich dem aufkommenden Morgenwind hin, der die letzten Schwaden über dem Fluß davontrieb. Ein großer blaugrauer Vogel mit S-förmigem Hals schwang sich majestätisch aus dem Schilf einer Flußinsel. Ein Reiher? Gab es an diesem toten, verdreckten Lauf des ehemals deutschesten aller deutschen Flüsse (Christian Bloch) noch so etwas Ähnliches wie Graureiher?
    Rut Bloch hatte immer davon geträumt, nach Nizza oder Cannes zu fahren, von 16 bis 19 Uhr Martinis-on-the-Rocks oder Schlimmeres zu süffeln, sich von einem hübschen Jungen mit Jacht zum Dinner und für die Nacht und die nächsten drei küstenfernen Tage in die Schlafkoje des Luxusschiffs locken zu lassen. Diese sündigen Absichten kamen ihr erst, als sie mit tödlicher Endgültigkeit wußte, daß Chris nie nach Davos (es sei denn als Lungenkranker), geschweige denn Cannes fahren würde. Er war für Ferien auf dem Bauernhof. Er liebte die deutsche, die Lüneburger Heide: Egestorf, Undeloh, dort fühlte er sich zu Hause – als Urlauber.
    Was war schlimmer: der erste fremde Mann im Ehebett oder eine spießige Normalehe?
    Nur langsam nahmen ihre ketzerischen Gedanken Form an. Sie hatte sie meistens im Bad, in dem sie unziemlich lange verweilte, mit Cremes,

Weitere Kostenlose Bücher