Deutschlandflug
haben wir den Verbrechern gegenüber einen klaren Vorsprung.«
Er lächelte leutselig; Klugscheißer, dachte Querholz gereizt. Er hielt den Verkehrsminister für einen Scharlatan, der seine Unsicherheit und Unwissenheit hinter albernen Scherzen und hinter der scheinbaren Ruhe versteckte, die seine mächtigen Schultern ausströmten. »Unser Sonderkommando ist unterwegs und wird in spätestens vierzig Minuten eintreffen!« teilte er knapp mit, ohne auf die Allgemeinfloskeln einzugehen, die der Minister gern wortreich ausbauen wollte.
»Vielleicht können wir kurz etwas über die Ausrüstung hören?« schlug der Minister vor.
»Sie haben sie doch damals selbst angeregt und vorgeschlagen!« wunderte sich Querholz demonstrativ. Gleichzeitig ärgerte er sich über sich selber, weil er seine Antipathie so schlecht verbarg. Er wußte zuviel über den Minister.
Von Fernsehschirmen und Wahlplakaten herab strahlte das Gesicht des Verkehrsministers stets eine wirksame Mischung von spätjugendlichem Forschungsdrang und prüfendem Verantwortungsbewußtsein des Erfahrenen aus. Aus der Nähe betrachtet jedoch wirkte es bei ungünstiger Beleuchtung aufgedunsen, fettwangig und, obwohl grundlos, schlecht rasiert. Unter den blassen, ausdruckslosen Augen zeugten, wie konnte es anders sein bei einem um Fortschritt und eigene Karriere kämpfenden Politiker, schwere Tränensäcke von durchwachten Nächten.
Mit seinen Händen hatte er optisch wenig Glück. Sie waren ihm stets im Wege, welche Haltung er auch gerade einnehmen mochte. Saß er, so lagen sie mit ihren wurstförmigen Fingern wie fremde Gegenstände irgendwo auf seinem Schoß herum; und man hatte das Bedürfnis, sie aufzuräumen und irgendwo zu verstauen. Stand er, so baumelten sie im Körperrhythmus herunter und wirkten wie Marionettenpuppen, die nicht bedient wurden. Faltete er sie jovial, so schienen sie seinen Bauchumfang noch zu vergrößern. Im Gehen zeigten sie die Tendenz, sich mit den Handflächen nicht körpereinwärts, sondern nach hinten zu drehen.
Der Kampf des Politikers mit seinen Händen gehörte zum Paradestück jedes Kabaretts. Die Art, wie ihn zum Beispiel Dieter Hildebrandt parodierte, konnte über die gesamte Regierungszeit dieses Ministers hinwegtrösten.
Im Lauf der siebziger Jahre waren den Wählern in rascher Folge vier Verkehrsminister beschert worden; und ihre Leistungen und vielzitierten Aussprüche glichen sich so aufs Haar, daß das einzelne Individuum und die Frage, wer wann was gesagt hatte, unwichtig wurden. Die auf der Pressekonferenz vorgebrachte Parallele zwischen Flugkapitänen und Lokomotivführern war nur ein Beispiel aus einer langen Kette ähnlicher Fehlleistungen sämtlicher Minister. Sie hatten schließlich auch den letzten versierten Fachmann sich mit Grausen abwenden lassen. Als die deutsche Pilotenvereinigung ›Cockpit e.V.‹ vor Jahren zu einem Streik wegen der zunehmenden Drohung durch Terroristen aufgerufen und den damals im Amt befindlichen Minister um seine Hilfe antelefoniert hatte, hatte er die Meinung geäußert, die Piloten wollten doch weiter nichts als ein verlängertes Wochenende. Von jeglicher Fachkenntnis ungetrübt schließlich war auch der von einem Nachfolger getätigte Ausspruch, man solle endlich nicht mehr auf die Warnrufe der Piloten wegen der wachsenden Zusammenstoßgefahr über der Bundesrepublik hören, die Herren Piloten nähmen sich damit doch nur allzu wichtig. Freilich: Fachkenntnis konnte nicht vorausgesetzt werden in einem System, das den Ministern innerhalb weniger Jahre das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel erlaubte vom Verteidigungsministerium zum Landwirtschafts-, vom Finanz- zum Verkehrsministerium. Mit dem Zitieren der Lokomotivführer schließlich hatte sich der Minister am Morgen selber parodiert. Die ursprüngliche Fassung hatte gelautet: Im Aufsichtsrat der Bundesbahn säßen keine Lokomotivführer, weshalb also Piloten im Aufsichtsrat einer Fluggesellschaft?
Er hatte sich immer gern, zuletzt auf einem Neujahrsempfang, für eine freiheitliche Wirtschafts- und Staatsordnung ausgesprochen – gegen alle, die Fortschritt durch Klassenkampf erreichen wollten und an den Fundamenten der freiheitlichen Grundfesten rüttelten. In längst verflossenen, nur allzu gern vergessenen Zeiten war der Minister Kaufmann, Erbe und Inhaber der Firma ›Dewoba‹ gewesen. Er hatte nicht nur Kapital, er hatte auch Ämter gesammelt: Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels. Präsident
Weitere Kostenlose Bücher