Deutschlandflug
hinwies, für den er den Begriff ›Internationalismus‹ prägte. Damals waren bei Protesten gegen den Staatsbesuch Thieus in Bonn und bei Straßenschlachten im Westend Frankfurts zum erstenmal Anarchistengruppen aufgetaucht, vor deren Gleichsetzung mit harmlosen Rockern oder idealistischen Hippies er betont warnte. Der kommende Terrorismus erinnere ihn, so rief er unter beifälligem Nicken der älteren Generation aus, an den der Jahre 1930/31, als die Nationalsozialisten ihre Schlachten inszenierten. Selbst die einstige APO sei harmlos gegen das, was sich jetzt in der Bundesrepublik anbahne. Den Polizeiorganen seien Pläne in die Hände gefallen, in denen die BRD zum latenten Kriegsschauplatz erklärt wurde. Schon im Januar 1973 waren von den Führern dieser Gruppen, gegen die die gute alte Ulrike Meinhof ›wie eine Jungfrau in einem Damenstift‹ wirke, genaue Aufmarsch- und Organisationspläne bekanntgeworden sowie die Parole, sich im Frühjahr auf Frankfurt einzuschießen. Mit geradezu kleinlicher Akribie vermied der Präsident auf seiner vielbeachteten Rede, überall wo es sich anbot, das übliche Prädikat ›linksradikale‹. Er machte Andeutungen über das Pariser Hauptquartier der Internationale der anarchistischen Föderation, in dem die Anführer ihre Grundschulung erhielten. Der Name David Cohn-Bendit fiel zum erstenmal seit langer Zeit wieder; er sei bei den Unruhen in Frankfurt gesehen worden, umgeben von einer Leibgarde. Unter lang anhaltendem Applaus rief der Präsident aus, ein so sensibles Gebilde wie die deutsche Demokratie müsse sich neuartige Methoden einfallen lassen, um dem Terror, der sich von der BRD über Frankreich bis nach Spanien und Italien erstrecke, wirkungsvoller als bisher zu begegnen: ›Wir wollen uns diese Methode nicht aufzwingen lassen – keinesfalls! Aber harte Demonstrationen rufen nun einmal harte Gegenreaktionen hervor.‹ Man könne seiner Polizeitruppe einfach nicht mehr zumuten, gegen diese Terrororganisation ohne Blutvergießen vorzugehen. Natürlich werde man einzelne unberechtigte Übergriffe von Beamten, die sich in der Wahl der Mittel nachweislich vergriffen hätten, mit bewährter Strenge aburteilen.
Einer der Hauptgründe, weshalb die Rede des Polizeipräsidenten – von Ausnahmen abgesehen – so überaus begeistert aufgenommen wurde, waren die parallel laufenden bürgerkriegsähnlichen Zustände in Italien. In Mailand hatten ›schwarze Sturmtruppen‹ bei ihrem Vordringen in die Innenstadt Handgranaten militärischer Herkunft benutzt. Der herrschenden Regierung wurde von der Opposition mangelnder Mut zur Gegenaktion vorgeworfen. Sie habe weiter nichts im Sinn, als in einer Zeit der Konfusion und Zweideutigkeit überleben zu wollen. Das Beispiel mangelnden Mutes zu harten Gegenmaßnahmen nutze der Präsident aus, um seine Forderungen zu unterstreichen – wobei er allerdings durch einen leichten dialektischen Kunstgriff das Ebenfallsüberlebenwollen zu einer Angelegenheit der gesamten abendländischen Kultur machen mußte.
Das stärkste positive Echo fand die Rede in der WELT. HAMBURGER ABENDBLATT und BILD reduzierten die überraschend intellektuellen Passagen auf einfache, schlagkräftige Formeln; in der FAZ machten sich mehrere namhafte Schreiber daran, gerade diese intellektuellen Stellen in Leitartikeln und Kommentaren zu durchleuchten.
Bei der ganzen Angelegenheit passierten dem Polizeipräsidenten lediglich drei kleine Pannen, die sich jedoch alle miteinander leichter ausbügeln ließen als seine transpirierenden Hände:
Der Chefredakteur einer überregional kaum beachteten Tageszeitung aus dem Ruhrgebiet wunderte sich in einem Artikel darüber, daß der Herr Polizeipräsident plötzlich Rocker und ›idealistisch fanatisierte Hippies‹ für harmlos hielt, die er nachweislich (12 Zitate) jahrelang als den Untergang der Demokratie in Deutschland bezeichnet hatte. Zu seinem eigenen Schaden grub der gleiche Redakteur dann auch noch einen Artikel aus irgendeinem VÖLKISCHEN BEOBACHTER von 1938 aus, in dem sich der gleiche Präsident, damals noch ein untergeordneter, aber bereits sehr aktiv stellungnehmender Beamter, positiv zu den in der Wiesbadener Rede verdammten Nazischlachten von 1930/31 äußerte, die er als ›Meilensteine auf der Siegesallee zum Fortschritt‹ deklarierte. Als sich der Mann auch noch, drittens, wunderte, daß der gleiche Präsident, der bisher jeglichen Terror auf ›Drahtzieher aus der sogenannten DDR‹ zurückgeführt
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