Deutschlehrerin
Kannst Du das nicht verstehen? Auch nach so einer langen Zeit nicht?
Außerdem zur Erinnerung: Zwischen uns lief es eben nicht mehr ganz so gut, aber das hättest Du Dir nie eingestanden! Du lebtest nur für Deine Schüler, für mich hattest du keine Zeit!
Eine Minute später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Hattest du denn Zeit für mich? Du warst auf einmal der beschäftigte Schriftsteller, der nur mehr unterwegs war!
Vier Minuten später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Für mein neues Leben interessiertest Du Dich null! Den ganzen Rummel kommentiertest Du ständig verächtlich, so als müsste ich mich für meinen Erfolg schämen! So als dürfte man keinen Erfolg haben und deswegen glücklich sein!
Gesendet: 2. Februar 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Hätte deine Frau sich auch in dich verliebt, wenn du ein Niemand gewesen wärst? Wenn man dich nicht in den Medien als den talentierten Shootingstar unter den Jugendbuchautoren gefeiert hätte?
Gesendet: 3. Februar 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Ob erfolgreich oder erfolglos war Denise vollkommen egal, ihr gefiel, dass ich ein Schriftsteller war und so ganz anders als ihre Schickimicki-Freunde. Noch eine Frage?
Ich hätte nämlich auch eine: Bist Du verheiratet, liiert oder eine alleinstehende, frustrierte Deutschlehrerin, die sich in braune Strickjacken hüllt und grünen Tee trinkt?? Ich hoffe nicht.
Xaver
Neun Minuten später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Du hast mich ausgenützt. Kaum warst du erfolgreich und auch finanziell flüssig, warst du weg! Außerdem wurdest du nur aufgrund meiner Idee ein erfolgreicher Schriftsteller, ich lieferte dir die Idee für Engelsflügel, Engelskind und Engelsblut !
P. S.: Ich trage gerne Strickjacken, in jeder Farbe, und ich trinke oft Tee, und zwar alle Sorten.
Eine halbe Stunde später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Mathilda,
ich habe Dich nie ausgenützt! Dass wir uns entfremdeten, fiel zufällig – oder vielleicht auch nicht zufällig?, wer weiß?, vielleicht hattest Du den erfolglosen Schriftsteller lieber als den erfolgreichen? – in die Zeit, in der ich endlich Erfolg hatte!!
Es tut mir leid, dass ich Dich mit Denise zum Schluss betrog, sogar sehr leid, ich hatte Dir gegenüber oft ein schlechtes Gewissen; doch diese Affäre war das Einzige, was ich mir zuschulden kommen ließ – achtzig Prozent der Männer und Frauen gehen fremd! –, ansonsten verhielt ich mich Dir gegenüber immer fair und ehrlich.
Xaver
Eine Minute später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Das war ein sehr guter Witz!
Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht!
Gesendet: 9. Februar 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Liebe Mathilda,
eine ganze Woche keine E-Mails von Dir, ich hoffe, ich habe Dich nicht mit irgendeiner Bemerkung verletzt, ich hoffe, Du bist nicht krank, ich hoffe, Du hast nicht zu viel Arbeit. Da wir nun lange genug in der Vergangenheit herumgebohrt haben, möchte ich Dir ein bisschen von meiner Gegenwart erzählen.
Seit einem Jahr wohne ich in meinem Elternhaus, ja tatsächlich, ich wohne in meinem Elternhaus, das wirst Du jetzt kaum glauben, ich sehe Dich vor mir, wie Du ungläubig den Kopf schüttelst und murmelst: »Das gibt es nicht«, aber es ist wahr, ich lebe – und arbeite – darin.
Im letzten Sommer starb meine Mutter und plötzlich stand ich vor der Entscheidung, das Haus zu bewohnen oder es gänzlich dieser Stiftung zu überlassen, die meine Mutter nur zu dem Zweck gegründet hatte, damit ich es nicht verkaufen konnte. Ich entschied mich, darin zu wohnen, denn ich wollte ohnehin einen Neustart, schon vor Jahren hätte ich den gebraucht, aber ich habe nie den Mut dafür gefunden. Ich freute mich auf meine »Heimkehr«, ich wollte mich im Haus verkriechen und schreiben, schreiben, schreiben, ich dachte, hier würde ich endlich den Roman meines Lebens schreiben, dachte, alles würde gut werden, hier in der Einsamkeit, die mich heilen würde – wovon? Von den Geistern der Vergangenheit?
Ich kann aber mit der Einsamkeit nichts anfangen, ich mag sie nicht, mochte sie nie (Du weißt das am besten!) und sie mag mich auch nicht, sie lullt mich nicht ein und heilt mich, sie lullt mich ein und macht mich verrückt, ich bin schon so weit, dass ich jeden Abend in das Dorfgasthaus gehe, mit dem Vorwand, dort zu essen, obwohl ich nur gierig die Leute um mich beobachte. Du weißt es ja sicherlich noch: Ich kann Nähe nicht ausstehen, kann mit ihr nicht umgehen, fühle mich schnell eingeengt, brauche aber Menschen, um sie zu beobachten, von ihnen
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