Deutschlehrerin
erst gegen Früh, wenn man heillos betrunken war, tanzte man flippig oder schrullig, und wenn man schläfrig wurde, sank man eng umschlungen in eine Ecke und knutschte. Später einmal gestand Xaver Mathilda, dass er diese Zeit am schönsten gefunden hatte.
Mathilda schrieb am 27. Juni 1981 in ihr Tagebuch:
»Unser Leben ist ein einziges Gespräch und obendrein eine einzige Party, wir sind kaum zu zweit, immer umringt von einer Menge Leute, immer unterwegs. Xaver genießt das, ich würde es mir manchmal ruhiger wünschen. Oft denke ich mir, lass ihn doch alleine ziehen, bleib zu Hause, schlaf dich mal richtig aus. Doch nie schaffe ich es, ich muss in seiner Nähe sein. Auch habe ich Angst, dass er mich langweilig findet, wenn ich nicht mitkomme. Untertags fühle ich mich müde und kaputt. Ich kann nicht konzentriert lernen und mein schlechtes Gewissen plagt mich. Ich muss meine Diplomarbeit fertig schreiben, ich muss im Herbst die Abschlussprüfung schaffen, um endlich unterrichten zu können. Ich will mein eigenes Geld verdienen und nicht mehr von diesem mageren Stipendium abhängig sein. Auch kellnern in dem grindigen Café mag ich nicht mehr. Ich freue mich so sehr darauf, Lehrerin zu sein und mit Xaver in einer Wohnung zu leben! Ich freue mich darauf, wenn er mir alleine gehört.«
Nach fast zwei Jahren Beziehung zogen sie zusammen in eine Dreizimmerwohnung, es war Anfang März 1982, der Monat, in dem beide vierundzwanzig wurden. Seit Februar arbeitete Mathilda als Deutsch- und Englischlehrerin in einem Sprachengymnasium.
Bei der Wohnungssuche hatten sie enormes Glück, sie fanden auf Anhieb – es war die zweite, die sie sich ansahen – eine helle, freundliche Wohnung mit drei großen Zimmern, einer modernen Küche und einer Terrasse mit Blick auf die Donau. Xaver wollte die erste nehmen, doch diese war Mathilda zu klein und finster und es war ihr wichtig, gut und schön zu wohnen. Sie empfand eine Wohnung als zweite Haut und in dieser zweiten Haut wenigstens wollte sie sich absolut wohlfühlen. Außerdem hasste sie es, an die dunkle, enge Wohnung ihrer Kindheit und Jugend erinnert zu werden.
Während sie in der Schule war, schrieb Xaver an seinem zweiten Roman – zumindest nahm Mathilda dies an –, und oft schrieb er auch in der Nacht. Dieser zweite Roman basierte auf Arthur Schnitzlers Reigen , den Xaver so sehr liebte, und trug den Titel Fünf Frauen, fünf Männer : In einem modernen Reigen begegnen einander Figuren der achtziger Jahre paarweise in zehn Szenen, einer drängt den anderen zum Geschlechtsverkehr, um sich anschließend so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.
Plötzlich redeten Mathilda und Xaver nicht mehr so viel, waren dabei aber nicht weniger glücklich, es schien, als wäre Ruhe eingekehrt, und sie liebte diese Ruhe und Zweisamkeit. Obwohl sie sich von Xaver oft mehr wünschte, die Fantasie, die er beim Schreiben aufbrachte, fehlte ihm gänzlich in der Beziehung.
Am Wochenende fuhren sie manchmal mit dem Rad in einen Park, um sich ins Gras zu legen, sich zu sonnen, zu lesen. Xaver wollte immer Freunde mitnehmen, er brauchte Publikum, sie hingegen genoss es besonders, wenn niemand Zeit hatte und sie zu zweit waren. Sie beobachtete ihn heimlich, wie er neben ihr an einem Baum gelehnt saß. Er kam ihr so perfekt und wunderschön vor, und in diesen Momenten dachte sie: Gleich wache ich auf und stelle fest, dass es nur ein Traum war, es ist unmöglich, dass er zu mir gehört.
E-MAILS, DIE MATHILDA UND XAVER EINANDER SCHREIBEN, BEVOR SIE EINANDER WIEDERSEHEN
Gesendet: 28. Jänner 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Guten Morgen, Mathilda!
Ich lernte Denise im Verlag kennen, als ich mich dort vorstellte, ich glaube, das war im Juni 95 – das Datum wirst Du sicherlich genau wissen, so wie ich Dich kenne –, ich kam gerade, glücklich und selig, aus dem Verlag – das Treffen war perfekt verlaufen, sie wollten alle drei Teile veröffentlichen –, als sie mit ihrem Vater aus dem Auto stieg und den Verlag betreten wollte.
Denise stützte ihren Vater und plötzlich sackte er zusammen, ich half ihr, ihn sicher in das Gebäude hineinzubringen und auf einen Stuhl zu setzen, ich glaube, ich besorgte auch noch ein Glas Wasser, wir sprachen kurz miteinander, während wir auf die Rettung warteten, sie bestand darauf, die Rettung anzurufen, obwohl es ihrem Vater sofort wieder besser ging und er absolut nicht ins Krankenhaus wollte. (Joachim war ein Kämpfer, er starb nicht ganz zwei Jahre
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