Deutschlehrerin
Leben, ich bin so neugierig!!!
Xaver
Gesendet: 20. Februar 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Lieber Xaver!
ich bin seit gestern Abend zurück. Meine Freundin Silvia und ich waren in New York.
Mathilda
Sieben Minuten später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii!
Erinnerst Du Dich, Du hast Dir das Lied an die zehn Mal hintereinander anhören können, das hat mich oft verrückt gemacht, Du warst so ein großer Udo-Jürgens-Fan!!! Bist Du es noch?
Warst Du das erste Mal in N.Y. , wie hat es Dir gefallen, erzähl doch mehr von Deinem Leben, bitte, ich bin so neugierig!
Xaver
Vier Minuten später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Xaver,
ich war zum zweiten Mal in N.Y. , es hat mir zum zweiten Mal ausnehmend gut gefallen und ich bin immer noch ein Udo-Jürgens-Fan.
Mathilda
Eine Stunde später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Liebe Mathilda,
ausnehmend gut? Ausnehmend gut?? Mehr nicht???
Ich würde gerne lesen, dass Du in einer schicken N.Y. Bar so betrunken warst, dass Du sogar auf einem Tisch zu tanzen anfingst!
Xaver
Dreizehn Minuten später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Ich genieße mein Leben, muss das aber nicht ständig an die große Glocke hängen, so wie es andere Leute machen. Das konntest du ja nie leiden. Erinnerst du dich an den Ausdruck Turbomenschen ? Der stammt von dir.
Über mein Leben schreibe ich dir am Wochenende, da habe ich Zeit dafür. Du wirst aber enttäuscht sein.
Mathilda
P. S.: Gibt es übrigens etwas Neues im Fall deines Sohnes? Sucht die Polizei noch oder ist alles abgeschlossen?
Gesendet: 21. Februar 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Liebe Mathilda,
Du fragst nach meinem kleinen Jakob.
Weißt Du, was für mich das Schlimmste an dem Ganzen war? Dass man nach einer Weile nicht wieder – zumindest ansatzweise – zur Tagesordnung übergehen kann beziehungsweise dass einem das übel genommen wird, wenn man die Absicht hat, das zu tun! Ich meine, ist es nicht normal, dass man nach zwei Jahren nicht mehr täglich daran denkt und sich sein altes Leben zurückwünscht?
Ich hoffe, Du verstehst mich nicht falsch oder hältst mich für herzlos! Ich war damals schon so weit, dass ich nicht wegen der Ursache, sondern wegen der Folgen verzweifelt war, Denise konnte sich jahrelang nicht beruhigen, wollte nicht aufgeben oder sich auf die Polizei verlassen, sie beauftragte insgesamt sieben Detektive – stell Dir das vor, sieben Detektive! –, wurde tablettensüchtig und magerte total ab. An jedem einzelnen Tag war mein Alltag ein Chaos, ich konnte nicht schreiben und wenn ich Lesungen nicht absagte, war sie beleidigt und gekränkt.
Jetzt schreit ein Handwerker nach mir, bis später! Und nein, es gibt keine Neuigkeiten, immer noch keine Spur, allerdings wird auch nicht mehr intensiv gesucht.
Xaver
Gesendet: 22. Februar 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Xaver,
ich weiß nicht recht, was ich dir auf deine E-Mail antworten soll.
Vielleicht ist so etwas schlimmer für eine Mutter als für einen Vater? Vielleicht konnte sie ganz einfach nicht wieder zur Tagesordnung übergehen, weil sie ständig an ihn denken musste?
Mathilda
Einundzwanzig Minuten später
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Liebe Mathilda,
warum soll Mutterliebe immer stärker sein als Vaterliebe??? Das ist doch ein längst überholtes Klischee!
Ich wollte Denise helfen, ihn zu vergessen – oder wenigstens nicht mehr ständig an ihn denken zu müssen –, indem ich sie von einer Adoption eines Kindes aus der Dritten Welt zu überzeugen versuchte (sie war bereits zu alt für ein zweites Kind), doch sie hasste mich deswegen und wir schrien uns nur noch an, bis ich auszog.
Das Ganze war so furchtbar für mich! Man kann sich doch nicht jahrelang damit fertigmachen, das Leben geht ja weiter, es nützt niemandem etwas, wenn ich mich in meinem Elend wälze, und genau das machte Denise. Ich war schon so weit, dass ich Eltern beneidete, die ihr Kind bei einem Autounfall verloren, denn trotz ihrer Trauer können sie innerlich damit abschließen.
Xaver
Acht Minuten später
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Wie geht es deiner Exfrau jetzt? Konnte sie damit abschließen?
Gesendet: 23. Februar 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie es ihr geht. Wir trennten uns bereits vor acht Jahren und vor fünf Jahren wurden wir geschieden, weil sie das unbedingt wollte, seither haben wir keinen Kontakt mehr, im Grunde gab Denise mir die Schuld und verzieh mir nie.
Sie gründete
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