Deutschlehrerin
Frage, ob Du verheiratet bist, beantwortest Du nicht. Warum?
Xaver
Gesendet: 10. Februar 2012
Von: M. K.
An: Xaver Sand
Xaver,
ich liebte dich, ob erfolgreich oder erfolglos war mir egal, ich liebte dich. Doch natürlich wünschte ich mir für dich den Erfolg und wie ich ihn mir für dich wünschte! Ich spürte, wie sehr du ihn brauchtest und ihn dir herbeisehntest. Ich spürte, wie alle unsere Bekannten auf deinen Erfolg warteten und du darunter littest. Dass du in deiner E-Mail schreibst, ich hätte den erfolglosen Schriftsteller lieber gehabt als den erfolgreichen, war äußerst kränkend. Ich wünschte dir den Erfolg, aber kaum war er da, hast du dich stark verändert. Es war, als ob du dich deines bisherigen »kleinen« Lebens – an der Seite der biederen Deutschlehrerin in der abgewohnten Dreizimmerwohnung im vierten Stock – schämen würdest. Du hast mich plötzlich mit Geringschätzung behandelt.
Es freut mich für dich, dass du im Elternhaus eine Heimat gefunden hast. Mir hat dieses große, alte Haus ja immer gut gefallen, das weißt du. Und zu deiner Frage: Ich bin nicht verheiratet.
In zwei Tagen fahre ich weg, wir haben Semesterferien, dort habe ich kein Internet zur Verfügung.
Mathilda
MATHILDA UND XAVER
Von Anfang an war Mathilda in der Schule glücklich.
Sie war eine motivierte und engagierte Lehrerin und ging gerne zur Arbeit, sie mochte ihre Schüler, fühlte sich nützlich. Es war seltsam, doch das Klassenzimmer empfand sie von Anfang an als eine Bühne, auf der sie sich wohlfühlte, dort war sie unaufgeregt und gelassen. Sie war Jemand , sie war eine Lehrerin, gab den Ton an, die Schüler mussten tun, was sie sagte. Und sie gehorchten ihr tatsächlich, mit Disziplin gab es nur in den ersten Wochen leichte Probleme, die sich aber sofort legten. Sie begegnete den Jugendlichen mit Wertschätzung und wahrte dabei die nötige Distanz; Stimmungen und Bedürfnisse der einzelnen Kinder spürte sie sofort, auch die der gesamten Klasse, und sie konnte sich gut und schnell darauf einstellen. Vor den Schülern stehend waren ihre Wahrnehmung und ihre Sinne geschärfter als in ihrem anderen Leben, in dem sie sich oft unsicher und unbehaglich fühlte. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie in der Schule wesentlich mehr Augen und Sensoren, die ihr ansonsten fehlten, denn außerhalb der Schule nahm sie die Dinge manchmal verschwommen und breiartig wahr.
In den ersten Wochen erzählte sie nach dem Heimkommen, aufgeräumt und angespannt zugleich, wie ein Wasserfall von der Schule und Xaver hörte ihr mit einem leicht spöttischen Grinsen auf den Lippen zu. Wenn sie ihn darauf ansprach, leugnete er es, es sei kein Spott, sagte er, er würde lediglich interessiert zuhören.
Meist schlief Xaver noch, wenn sie am Morgen wegging, einmal jedoch stand er auf und kam in seinen Boxershorts aus dem Schlafzimmer gewankt, sie lebten erst seit kurzer Zeit zusammen. Er sah sie im Gang stehen und ihr Aussehen im Spiegel prüfen und mit offenem Mund starrte er sie an, bevor er im Badezimmer verschwand.
Xavers Tagebucheintrag am 12. Juni 1982:
»Mathilda ist durch und durch eine Lehrerin, so berauscht von dem enthusiastischen Drang, Jugendliche mit Bildung vollzustopfen. Am Morgen verlässt sie aufgedonnert die Wohnung, die pure Lebenstüchtigkeit ausstrahlend, in ein Kostüm gezwängt, die rot gefärbten Haare aufgesteckt, mit knallrotem Lippenstift, in billigen Parfumduft eingehüllt und vor allem so voller Energie und so stolz auf ihren Beruf!«
Ihr Beruf erfüllte Mathilda tatsächlich mit Stolz, er bedeutete für sie persönlich einen großen gesellschaftlichen Aufstieg, den sie von Kindesbeinen an angestrebt hatte. Sie stammte aus einer Familie von Arbeitern beziehungsweise Bauern, noch nie hatte ein Familienmitglied maturiert geschweige denn die Universität besucht, sie war die Erste und sie fühlte sich mit ihrer Bildung mächtig. Die Sechzig-Quadratmeter-Wohnung ihrer Kindheit in einem Sozialwohnblock in Linz strotzte vor Enge, Unwissenheit, Gewöhnlichkeit, Kleinkariertheit, Neid und Resignation. Dem wollte sie entfliehen und sie zählte die Tage, bis sie achtzehn wurde.
E-MAILS, DIE MATHILDA UND XAVER EINANDER SCHREIBEN, BEVOR SIE EINANDER WIEDERSEHEN
Gesendet: 18. Februar 2012
Von: Xaver Sand
An: M. K.
Liebe Mathilda!
ich hoffe, Du bist aus Deinem Urlaub gut zurückgekommen. Wo warst Du und mit wem?
Hast Du einen Freund, lebst Du mit jemandem zusammen? Erzähle mir doch ein bisschen von Deinem
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