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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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Rückkehr und reiste in die Heimat zurück. Am 24. Dezember kam er an, er war mehr als zehn Jahre weg gewesen. Zu Hause konnte er nicht glauben, was er sah.
    Für Richard war es klar, dass er nicht sofort zurückreisen konnte und dass er seiner Familie mit seinen ersparten amerikanischen Dollars helfen musste, ein neues Haus und die Schusterei aufzubauen. Er würde mindestens ein Jahr bleiben, schrieb er an Dorothy. Aus dem einen Jahr wurden zwei und dann wurde es der Rest seines Lebens.

XAVER
    Nachdem Inges Brüder im Zweiten Weltkrieg gefallen waren, war es klar, dass sie den Besitz erben und weiterführen würde. Damit der Familienname erhalten blieb, heiratete sie nicht, Xaver trug den Mädchennamen der Mutter, seine Eltern waren nie verheiratet gewesen. Alleine diese Tatsache hatte er nie verstehen können. Sein Vater wäre gerne ein verheirateter Mann gewesen, und da er aus einer sehr religiösen Familie stammte, litt er darunter, ein lediges Kind zu haben, doch der Erhalt des Namens war Inge wichtiger.
    »Immer hat das Haus und der Name mehr gezählt als die Menschen darin«, sagte Xaver mit einem bitteren Zug um den Mund.
    Das Haus samt Garten war der Lebensinhalt seiner Mutter, sie schuftete den ganzen Tag, um den Verfall aufzuhalten, indem sie es von oben bis unten schrubbte und wieder schrubbte und indem sie die Mängel mit Spitzendeckchen, selbst gehäkelten Überwürfen und bestickten Kissen zudeckte. Sie wollte das Haus für ihren einzigen Sohn, den letzten Nachkommen der einst kinderreichen und weitverzweigten Sippschaft Sand lebenswert erhalten. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass Xaver nach seinem Studium zurückkehren und in dem Haus leben würde. Er würde hier mit seiner Frau und seinen vielen Kindern wohnen und in seinem Arbeitszimmer Romane schreiben, die ihm Weltruhm und Wohlstand einbringen würden. Die Möglichkeit eines Verkaufs existierte für Inge nicht: Etwas, das jahrhundertelang eine altehrwürdige Familie beheimatet und auch ernährt hatte – früher war eine Schusterei und eine kleine Landwirtschaft dabei gewesen, von der die Familie gelebt hatte –, verkauft man nicht, so ihr Leitspruch. Das Wort altehrwürdig hasste Xaver am meisten. Der Besitz musste auf jeden Fall weitergeführt werden und Xavers Sohn und Tochter mussten ihn erben und ebenfalls für die Nachkommen weiterführen.
    Nur einmal in seiner Jugend hatte Xaver eine Ohrfeige von Inge bekommen und das war, als er verkündete, er würde den alten Steinkasten abreißen und sich einen modernen Bungalow bauen lassen, falls ihn irgendjemand dazu zwingen würde, sein Leben hier zu fristen. Die ganze Kindheit war er mit dem Wissen um die Pflicht, dieses Haus eines Tages hegen und pflegen zu müssen, aufgewachsen, ja es war sogar mehr als eine Pflicht, es war ein moralischer Auftrag an ihn. Er war es den verstorbenen Vorfahren schuldig, die ihre ganze Lebens- und Arbeitskraft in diese Heimatstätte gesteckt hatten.
    Die Familie Sand war eine alteingesessene Familie in Hegnersdorf und betrieb seit zwei Jahrhunderten eine Schusterei mit Schuhverkauf, die dann von Inge Mitte der siebziger Jahre schweren Herzens zugesperrt wurde. Die Leute kauften ihre Schuhe in großen Schuhläden in der Stadt und nicht mehr beim Schuster im Dorf, kaputte Schuhe ließ man nicht mehr reparieren, man schmiss sie weg. Immer war sie die Meisterstochter gewesen, dann lange Zeit selbst die Chefin, bis sie plötzlich Arbeitslosengeld beziehen musste und in der Umgebung geredet wurde, dass sie in Konkurs gegangen wäre. Nicht einmal Xaver wusste, ob seine Mutter tatsächlich in Konkurs gegangen war, denn sie sprach nie darüber, doch er vermutete Schulden bei der Bank, da plötzlich jeder Groschen umgedreht wurde. Wirtschaften hatte seine Mutter nie gut können, sie hatte immer von allen Vertretern stapelweise Schuhkartons mit eleganten Damenschuhen gekauft und die Nachfrage ignoriert. Später fand sie eine Arbeit als Teilzeitbüroangestellte im Lagerhaus, wohin sie mit dem Fahrrad fahren konnte, denn den Führerschein hatte sie nie gemacht.
    Das alte Haus der Familie Sand war wesentlich kleiner und einfacher gewesen, Inges Vater Richard hatte, nachdem es von russischen Soldaten niedergebrannt worden war, an seiner Stelle ein größeres erbaut. Beim Brand waren Richards Mutter und sein ältester Bruder ums Leben gekommen. Seine älteste Schwester berichtete ihm in einem Brief, den sie ihm nach Milwaukee schickte, die grauenhaften Details, und drei

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