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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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revidiert! Aber es ging nicht. Und bei jedem einzelnen Menschen geht es nicht, hat er einmal eine Entscheidung getroffen und lebt diese – wobei ich jetzt eine große Entscheidung meine, nicht was er zu Mittag essen soll –, ist sie unwiderruflich getroffen! Das Leben geht dann seinen verdammten Lauf.«
    »Ich finde aber gerade das macht jedes Leben so einzigartig. Wenn jeder von uns einen Knopf hätte, mit dem er die Zeit zurückdrehen könnte, um Entscheidungen rückgängig zu machen, würde man ständig nur auf diesen Knopf drücken! Stell dir das vor.«
    »So ein Knopf wäre natürlich nichts Gutes. Aber jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient! Im Alter hat man die Erkenntnis darüber, was man falsch gemacht hat und was gut war, und dann soll man – anstatt zu sterben – über eine Schwelle treten dürfen und sagen, ich wäre gerne noch einmal zwanzig oder fünfzehn oder siebenundzwanzig, je nachdem, ab wann man glaubt, sein Leben wiederholen zu wollen. Dann darf jeder noch einmal sein Leben leben, aber als der Mensch, als der man geboren wurde, niemand hat andere Bedingungen als die im ersten Entwurf, lediglich das Bewusstsein, was man im ersten Entwurf falsch gemacht hat. Man startet also seine zweite Chance mit der Weisheit, mit der man seine erste beendet hat. Das wäre doch fair, oder? Im Leben hört man so oft: In Ordnung, du hast eine zweite Chance verdient!, oder: Du bekommst eine zweite Chance! Warum sollte das nicht auch für das Leben selbst gelten?«

MATHILDA ERZÄHLT XAVER DIE WAHRHEIT
    Mathilda: 1995 sind der Schriftsteller und die Deutschlehrerin bereits fünfzehn Jahre zusammen und schreiben gemeinsam die Jugendbuchtrilogie Engelsflügel, Engelskind, Engelsblut. Sie sind dabei so glücklich wie schon lange nicht mehr. Der Schriftsteller findet für die Jugendbuchtrilogie einen großen deutschen Verlag und er verspricht der Deutschlehrerin Heirat und Kinder für das kommende Jahr. Sie hat sich beides schon jahrelang gewünscht. Er sagt, er fühle sich endlich bereit dafür. Die Bücher erscheinen und sind von Anfang an ein großer Erfolg, der Schriftsteller ist viel unterwegs und verdient eine Menge Geld. Eines Tages ist er mitsamt seinen Sachen aus der Wohnung verschwunden. Wohin er gegangen ist, weiß die Deutschlehrerin nicht, für sie ist er unauffindbar. Ein paar Wochen später heiratet er eine um zwei Jahre ältere, reiche Hotelierstochter in Deutschland, deren neuestes Hobby es gerade ist, sich in die Natur zurückzuziehen und einen Bauernhof zu bewirtschaften. Die beiden sollen außerdem bald ein Kind bekommen. Die Deutschlehrerin erfährt alles aus einer Zeitschrift, die eine Schülerin vor sich liegen hat. Sie bricht zusammen und kommt in eine Nervenheilanstalt, in der sie sieben Monate verbringt.
    Xaver: Was??
    Mathilda: Vor dem Lehrerpult muss sie ohnmächtig geworden sein. Als sie aufwacht, liegt sie auf der Liege im Besprechungszimmer der Schule, dort, wo immer die erkrankten Schüler liegen. Ein Arzt schaut streng auf sie herab. Er fragt, ob sie sprechen kann, und ihr kommt die Frage sinnlos vor, sie will nur weiterschlafen. In der Nervenheilanstalt stellt sich dann heraus, dass sie wirklich nicht sprechen kann. Sie macht brav ihre Sachen, schreibt Briefe an den Schriftsteller, in dem sie ihre Wut und Verletzung schildert und gibt sie beim Therapeuten ab. Sie hört dem anderen Therapeuten zu, der ihr die unzähligen Möglichkeiten aufzählt, die sie im Leben angeblich noch hat: Sie ist erst achtunddreißig, das ist eine Menge Zeit, um einen neuen Partner kennenzulernen und eine Familie zu gründen! Sie hat einen tollen Beruf, der ihr viel gibt! Als sie dann im Oktober Fotos des kleinen Babys Jakob in einer Zeitschrift sieht, hat sie das Gefühl, als würde ihr Herz zerreißen. Es hätte ihr Kind sein sollen. Zu Weihnachten besucht sie ihre Tante Maria in Innsbruck und fängt wieder zu sprechen an.
    Xaver: Wie schafft die alte Frau das?
    Mathilda: Sie schreit die Deutschlehrerin einfach an: Mach endlich deinen Mund auf! Was dir passiert ist, passiert jedem! Das Leben besteht aus Verlassen und Verlassenwerden!
    Xaver: Das Leben besteht aus Verlassen und Verlassenwerden.
    Mathilda: Nach den Weihnachtsferien muss sie wieder alleine in ihrer Wohnung in Wien zurechtkommen, arbeitsfähig ist sie noch nicht. Sie geht die Post durch, die sich während ihrer Abwesenheit angesammelt hat, und findet einen Brief von einem Urologen, der an den Schriftsteller gerichtet ist. In dem Brief

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