Deutschlehrerin
steht, dass die Untersuchung ergeben hat, dass der Schriftsteller zeugungsunfähig ist. Offensichtlich hat der Schriftsteller, kurz bevor er gegangen ist, eine Vorsorgeuntersuchung gemacht, bei der er auch an einen Urologen überwiesen wurde. Er ist zeugungsunfähig! Zeugungsunfähig! Ihr Traum hätte nie wahr werden können, sie hätte nie ein Kind von ihm haben können! Und auch keine andere Frau. Irgendwie hat sie der Gedanke getröstet. Wer war aber dann der Vater des kleinen Jakobs? Weiß der Schriftsteller, dass das Kind nicht von ihm sein kann?
Xaver: Er hat es lange nicht gewusst.
Mathilda: Die Tante stirbt, vererbt der Deutschlehrerin das Haus und diese zieht dort ein. Es tut ihr gut, von der Stadt wegzugehen, in der sie so lange mit dem Schriftsteller gelebt hat. Langsam bekommt sie ihr Leben wieder in den Griff. Und dann beginnt diese Fernsehserie Bei Promis zu Hause und die ersten zwei Teile spielen auf dem großen Bauernhof der Hotelierstochter und ihres Mannes, des Schriftstellers.
Xaver: Das hast du gesehen? Wir haben nie einen Fernseher gehabt.
Mathilda: In der neuen Stadt hat die Deutschlehrerin einen Fernseher. Die schwerreiche Hotelierstochter geht mit verträumten Blick über die Felder, steht mit Gummistiefeln im Stall und wirft den Kühen Heu vor. Sie verrät den Zusehern, dass sie endlich zu sich gefunden hat und glücklich ist, sie hat zu den Ursprüngen der Natur zurückgefunden. Eigenhändig führt sie ihre Kühe auf die Weide, wenn sie Zeit hat. Ihr Mann und sie machen auf dem Hof vieles selbst. Sie hat nur einmal wöchentlich eine Putzfrau, einen landwirtschaftlichen Helfer, Bruno, und ein Au-pair-Mädchen, das aber vormittags in der Stadt ist, weil es studiert, nachmittags ist es für das Kind zuständig. Ihr Mann, der Jugendbuchautor, stapft missmutig neben oder hinter ihr her, ständig mit dem quengelnden, plärrenden Kind auf dem Arm.
Xaver: Jakob war leider hyperaktiv. Das war ein bisschen –
Mathilda: Anstrengend? Auch der Schriftsteller gibt an, glücklich zu sein, hier in der Natur, auf dem alten Bauernhof. Er zeigt ein Lächeln, während der kleine Junge, der ihm überhaupt nicht ähnlich sieht, ehrlich gesagt, auch der Mutter nicht, ihn an den Haaren zieht. Die Deutschlehrerin sieht und hört also auf dem Bildschirm, wie der Schriftsteller herumstottert, in seinem neuen Leben – ach so – glücklich zu sein. Sie glaubt es nicht, dafür kennt sie ihn viel zu gut. Er wirkt unglücklich und verbissen und irgendwie aggressiv, seine Gelassenheit und Coolness ist verschwunden.
Xaver: Du übertreibst. Er hat wahrscheinlich nur schlecht geschlafen. Das Kind hat ihn nächtelang wachgehalten.
Mathilda: Die beiden spazieren also mit Kind und Kamerateam über das gesamte Gelände, zeigen das Innere des Bauernhauses, das aus lauter Holz und Luxus zu bestehen scheint, sie zeigen den modernen Stall, die grüne Wiese mit den Kühen, den Kartoffel- und Krautacker und die erste Biogasanlage Deutschlands. Die liefert den Strom für das ganze Anwesen. Auf sie ist der Schriftsteller extrem stolz, er betont mehrmals die Umweltfreundlichkeit dieses Stromerzeugers der Zukunft. Die Fernsehserie ist vorbei, das Leben der Deutschlehrerin geht weiter. Und dann, zwei Monate später, im Mai 2000, tönt es aus allen Nachrichtensendungen, steht es in jeder Zeitung: Der eineinhalbjährige Jakob Sonnenfeld wurde entführt. Er ist aus dem Garten verschwunden, wo er in seinem Kinderwagen unter dem Apfelbaum geschlafen hat. Liv Lundström, das schwedische Au-pair, hat sich für eine Weile entfernt. Sie ist in die Scheune gegangen und hat dort mit ihrem Freund telefoniert, ziemlich lang sogar. Liv wird vorläufig festgenommen, aber wieder freigelassen, sie hat mit der Entführung offensichtlich nichts zu tun. Es gibt keine Spur, keinen Erpresserbrief, auch Wochen später nicht. Das Kind bleibt verschwunden.
Xaver: Können wir das endlich abbrechen? Das ist – wirklich sehr quälend für mich.
Mathilda: Ein paar Tage nach der Entführung wird ein Appell der Eltern an den oder die Entführer im Fernsehen ausgestrahlt. Die Mutter des Buben ist völlig verzweifelt, am Ende, und der Schriftsteller scheint es auch zu sein. Die Deutschlehrerin merkt aber an seinem Gesicht, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Hinter seinen Schläfen scheint der pure Wahnsinn zu pochen. Und sie weiß, etwas stimmt da ganz und gar nicht.
Xaver: Der pure Wahnsinn hat da auch gepocht. Sein Kind wurde aus seinem Garten
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