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Deutschlehrerin

Deutschlehrerin

Titel: Deutschlehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Taschler
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nicht. Du wirst weiterhin schweißnass vor Angst in den Nächten aufwachen, weil du glaubst, ihn schreien zu hören.
    Xaver: Es gibt keinen richtigen Schluss! Es ist nur eine Geschichte! Was ist los mit dir?
    Mathilda: Falsche Antwort. Es ist mehr als eine Geschichte, es ist das Leben. Und ich werde dir jetzt erzählen, warum ich weiß, dass an der ganzen Entführungssache etwas nicht stimmen kann.

MATHILDA UND XAVER
    »Das wirkliche Leben des Einzelnen bedeutet eigentlich gar nichts, wichtig sind die Geschichten, die es schreibt und die davon zurückbleiben«, sagte Xaver einmal zu Mathilda, »und ich meine damit nicht irgendwelche Geschichten wie zum Beispiel ›Sie hat ihr ganzes Leben lang geschuftet und dann ist sie gestorben‹. Der Satz wird eines Tages auf meine Mutter zutreffen. Ich meine damit gute, berührende, spannende Geschichten, die den nachfolgenden Generationen im Gedächtnis hängenbleiben, die man nicht vergessen kann und die man weitererzählt. Wichtig ist nie das Leben selbst, es verpufft in unserem Weltall wie ein Hauch, wichtig sind die bleibenden Geschichten. Je berührender und mitreißender eine Geschichte ist, an die man sich erinnert und die weitererzählt wird, umso lebenswerter wird im Nachhinein dieses Leben. Oft überdauern solche Geschichten viele Generationen, sie bleiben auf der Welt länger als dieses Leben selbst gedauert hat! Ist das nicht ein Wahnsinn? Warum finden die Menschen es so erstrebenswert, Kinder in die Welt zu setzen, um der Nachwelt erhalten zu bleiben? Es sollte erstrebenswerter sein, eine Wahnsinnsgeschichte zu hinterlassen! Es ist die Aufgabe der Schriftsteller, solche Geschichten zu finden und aufzuschreiben, denn die Menschen brauchen sie. Stell dir ein Leben ohne Geschichten vor! Die Menschen brauchen sie, um sich daran orientieren zu können. Entweder fühlen sie sich beim Zuhören in etwas bestätigt oder sie geben ihnen Mut, selbst etwas zu tun oder zu ändern, oder sie berühren und unterhalten sie einfach.«
    »Aber die traurigen Geschichten bleiben eher im Gedächtnis als die lustigen, das hieße dann, der Mensch müsste eine Menge Schicksalsschläge einstecken, nur damit der Nachwelt eine erzählenswerte Tragödie erhalten bleibt«, wandte Mathilda ein.
    »Da hast du leider recht. Die Geschichten von tragischen und – auch kuriosen – Schicksalsschlägen bleiben eher im Gedächtnis der Menschen hängen. Und weißt du, was überhaupt das Tragischste in jedem Leben ist?«
    »Nein«, antwortete Mathilda.
    »Das Tragischste ist, dass jeder Mensch sein Leben nur einmal leben kann. Ich finde, das ist so, als hätte man gar keines. Viele entscheiden sich als junge Menschen einfach für einen komplett falschen Lebensweg und kommen dann im Alter darauf, dass sie ihr Leben vermasselt haben. Ist das nicht wie eine Farce, wie ein schlechter Witz? Hurra, ich sterbe bald und mein Leben war einfach nur Scheiße! Warum glaubst du, ist das so?«
    »Weil man leider oft erst rückblickend erkennt, was einem gutgetan hätte, und weil leider oft erst im Alter die Weisheit diesbezüglich kommt.«
    »Das ist gut, ja so ist es! Aber warum hat man denn als junger Mensch diese Weisheit nicht? Ist das nicht ungerecht? Weißt du, wie ich mir vorstelle, dass es dazu gekommen ist?«
    »Nein, aber du wirst es mir sicher erzählen«, lachte Mathilda.
    »Was war zuerst, das Leben oder Geschichten? Ich nehme an, Geschichten! Gott saß in seinem Himmelsreich und erzählte seinen Engeln eine Unmenge von erfundenen Geschichten, es waren Geschichten von ungehorsamen Wolken, Sternen, vom Wind, vom leeren Planeten Erde und all den anderen Planeten im All.
    Eines Tages ging ihm der Stoff aus und deshalb erschuf er den Menschen! Weil er Geschichten brauchte, die ihn unterhielten und die er erzählen konnte. Nicht nur den Engeln war langweilig, auch ihm selber. Er erfand also den Menschen und als besondere Perfidie dachte er sich aus, dass sie ihr Leben nur einmal leben können, damit die jeweilige Geschichte, die durch ein Menschenleben entsteht, umso dramatischer und spannender ist. Er saß vor dem Planeten Erde, sah den Menschen bei ihrem Treiben zu und hatte seinen größten Spaß daran, zu sehen, wie sich viele von ihnen selbst ins Unglück ritten, weil sie in ihrem Leben falsche Entscheidungen trafen! Er lachte sich kaputt dabei! Das erste und beste Beispiel dafür ist ja bekanntlich Eva und der Apfel. Wie gerne hätte Eva ihre Entscheidung, auf die hinterhältige Schlange zu hören,

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