Deutschlehrerin
die Unwahrheit gesagt hat, fällt sicher schon längst unter die Verjährungsfrist.
Xaver: Ich kann nicht! Ich kann einfach nicht! Denise wird –
Mathilda: Denise wird endlich Gewissheit haben, was mit ihrem Sohn passiert ist.
Xaver: Wenn alles vorbei ist, kommst du dann mit mir?
Mathilda: Wohin?
Xaver: Nach Schuroth.
Mathilda: Wie meinst du das?
Xaver: Ich meine damit – gibst du mir noch eine Chance?
Mathilda: Ich – jetzt bin ich total perplex.
Xaver: Wir könnten ein Kind adoptieren.
Mathilda: Mit vierundfünfzig?
Xaver: Das ist heutzutage kein Alter.
Mathilda: Wir gehen jetzt zurück zum Haus, steigen in das Auto und fahren zur Polizei.
Xaver: Und während wir zurückgehen, erzählst du mir einen passenden Schluss für meine Geschichte.
Mathilda: Einverstanden.
MATHILDA ERZÄHLT XAVERS GESCHICHTE ZU ENDE
Richard Sand fliegt nach Chicago. Er ist dreiundsechzig Jahre alt und sitzt zum ersten Mal in einem Flugzeug. Er schläft ein und träumt, dass er, dreißig Jahre jünger, das Schiff im New Yorker Hafen verlässt, mit einem kleinen Koffer in der Hand. Mehr als ein Jahr lang war er in der Heimat, half seiner Familie, ein neues Haus und die Schusterei wieder aufzubauen. Sein ganzes erspartes Geld steckte er hinein und er machte es gern. Seiner Familie sollte es gut gehen und Geld würde er in Milwaukee wieder genug verdienen. In geordneten Verhältnissen übergab er alles seinem Bruder Karl. Im Hafen von New York eilt Dorothy auf ihn zu und sie umarmen sich lange und innig. Er überhäuft ihr geliebtes Gesicht immer wieder mit Küssen, bis er – aufwacht, weil eine Stewardess ihn fragt, ob er Kaffee möchte.
In Milwaukee angekommen, geht er sofort in die Wisconsin Avenue, und tatsächlich gibt es das Schuhgeschäft »O’Flaherty« noch! Es hat sich zwar stark verändert, es ist viel größer, aber es ist noch da und scheint zu florieren, es wird von Leuten in allen Altersgruppen stark frequentiert. Richard wohnt in einem billigen Hotel und besucht die Orte, die er von früher gut kennt. Kontakt nimmt er mit niemandem auf. Meistens aber hält er sich in der Wisconsin Avenue auf und beobachtet den Laden, er geht auf und ab oder sitzt auf einer Bank und schaut zum Eingang. Schließlich betritt er das Geschäft und kauft sich ein paar Schuhe, obwohl er gar keine braucht. Eine junge Frau bedient ihn und er ist nahe daran, sie nach Dorothy O’Flaherty zu fragen, findet aber letztendlich den Mut nicht. Am nächsten Tag, als er wieder auf der Bank sitzt, kommt eine Frau auf ihn zu und setzt sich neben ihn. Es ist Dorothy, er erkennt sie sofort wieder. Sie ist immer noch wunderschön, hat immer noch dieses besondere Strahlen im Gesicht. Sie ist es, die als Erste spricht, sie macht einen Scherz und fragt ihn, warum es so lange dauerte, bis er den Weg zurück nach Milwaukee gefunden hat. Sie hat ihn bereits die ganze Woche beobachtet, wie er vor dem Geschäft auf und ab ging. Da kann Richard nicht mehr an sich halten und Tränen laufen ihm über die Wangen. Dorothy umarmt ihn einfach nur. Später gehen sie spazieren und Dorothy erzählt von sich: Gemeinsam mit ihrer Schwester übernahm sie das Schuhgeschäft des Vaters und wurde später zusätzlich Schuhdesignerin, geheiratet hat sie nicht, ihre – und seine – Tochter zog sie alleine groß. Bei dem Wort Tochter bricht Richard endgültig zusammen und Dorothy bringt ihn zu sich nach Hause.
Am Abend reden sie weiter. Dorothy wusste selbst nicht, dass sie schwanger war, als Richard im November 1918 abreiste. Als sie ihre Schwangerschaft entdeckte, verschwieg sie sie in ihren Briefen bewusst, sie wollte keinen Druck auf ihn ausüben und ihm die Zeit geben, die er für seine Familie brauchte. Bei ihrer Familie fand sie den nötigen Rückhalt, nie wurden ihr Vorwürfe gemacht. Das Kind erhielt den Namen beider Großmütter: Mary. Als Richard nach einem Jahr immer noch nicht zurückgekehrt war, entschloss sich Dorothy, ihm doch die Wahrheit zu schreiben. Mary sollte nicht als lediges Kind aufwachsen müssen. Sie schrieb viele Briefe, schickte Fotos mit und bekam nie eine Antwort. »Warum bist du mir nicht nachgereist?«, fragt Richard sie und sie antwortet: »Ich war zu stolz. Das habe ich später bereut. Ich hätte zu dir kommen sollen. Aber hätte es etwas genützt?« »Du hättest mich vor einer falschen Entscheidung bewahren können«, antwortet Richard. Er erzählt von seinem Leben, von seinem Pflichtgefühl der Familie und Anna gegenüber. Am
Weitere Kostenlose Bücher