Dexter
Lieferwagen rumpelte vorüber. Endlich öffnete sich der Eingang erneut, und Lurch trat heraus, gefolgt von den zwei Muskelmännern, Bobby Acosta und zwei weiteren Schranzen, die ich noch nicht kennengelernt hatte. Ein paar Minuten später verließ Kukarov persönlich das Gebäude, verschloss die Tür und stieg in einen Jaguar, der einen halben Block entfernt parkte. Das Auto sprang sofort an, was allem widersprach, was ich über Jaguare gehört hatte, und Kukarov fuhr in die Dämmerung davon, zu Morticia und einem erholsamen Tag in seiner Gruft.
Ich sah Deborah an, aber sie schüttelte den Kopf, weshalb ich weiter wartete. Ein leuchtend oranger Sonnenstrahl fiel über den Ozean, und plötzlich war es Tag. Drei junge Männer in winzigen Badehosen liefen angeregt auf Deutsch plaudernd an uns vorbei zum Strand. Ich bewunderte den Sonnenaufgang und beschloss in einem von der Dämmerung inspirierten Anfall von Optimismus, dass meine Chancen doch eins zu drei standen, nicht meinen letzten Tag auf Erden zu erleben.
»Okay«, sagte Deborah schließlich, und ich blickte sie an. »Es wird Zeit.«
Ich musterte den Club. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es Zeit wurde – Zeit zum Schlafengehen vielleicht, aber nicht dafür, sich in die Höhle des Drachen zu schleichen; es war viel zu hell. Dexter braucht Schatten, Dunkelheit, bebendes Mondlicht. Keinen strahlenden Morgen in der Glitzermetropole der westlichen Welt. Doch wie üblich hatte ich keine Wahl.
»Es könnte jemand drin sein, ein Wächter oder so«, sagte sie. »Sei also vorsichtig.«
Ich hatte nicht die Absicht, diese Bemerkung einer Antwort zu würdigen, deshalb atmete ich nur tief ein und versuchte, die Dunkelheit heraufzubeschwören.
»Du hast dein Handy, ja?«, fuhr sie fort. »Falls es Ärger gibt oder du sie siehst und sie bewacht wird, ruf die neun, eins, eins und hau ab. Es dürfte einfach sein.«
»Nicht ganz so einfach, wie im Auto zu sitzen«, bemerkte ich spitz, ja, ich gebe zu, ich war ein wenig gereizt. Zu allem Überfluss litt Deborah jetzt auch noch an Logorrhö. Wie soll ein Mann seinen Passagier rufen, wenn alle Welt auf ihn einschwatzt?
»Na schön«, sagte sie. »Ich will ja nur, dass du vorsichtig bist.«
Mir war klar, dass ihr Geplauder nicht enden würde, deshalb ergriff ich den Türöffner und sagte: »Ich bin sicher, dass alles klappen wird. Was soll schon schiefgehen, wenn man in die Brutstätte von Vampiren und Kannibalen einbricht, die bereits mehrere Menschen entführt und ermordet haben?«
»Jesus, Dexter«, stöhnte Deborah, aber ich kannte keine Gnade.
»Immerhin habe ich ja ein Handy«, fuhr ich fort. »Falls sie mich schnappen, drohe ich ihnen einfach, eine SMS abzusetzen.«
»Herrje, scheiße«, sagte sie.
Ich stieß die Tür auf. »Mach den Kofferraum auf«, wies ich sie an.
Sie zwinkerte. »Was?«
»Mach den Kofferraum auf!«, wiederholte ich. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich war bereits ausgestiegen und stand vorm Kofferraum. Die Verriegelung klickte, und ich öffnete ihn, entdeckte eine Brechstange, ließ sie in meine Tasche gleiten und zog mein Hemd über den vorstehenden Griff, um sie zu verbergen. Ich schlug den Kofferraum zu und trat nach vorn an Debs’ Fenster. Sie kurbelte die Scheibe hinunter.
»Leb wohl, Schwesterherz«, sagte ich. »Sag Mutter, ich sei im Einsatz gefallen.«
»Um Himmels willen, Dexter«, knurrte sie, doch ich überquerte bereits die Straße und ließ sie im Auto zurück, wo sie ein paar besorgte Schimpfworte vor sich hin murmelte.
In Wahrheit wünschte ich natürlich, es würde so einfach, wie Deborah gern glauben wollte. Hineinzugelangen würde für jemanden mit meinen bescheidenen Fähigkeiten gewiss recht einfach sein – bei der Ausübung meines kleinen Hobbys war ich in viele Gebäude eingedrungen, die wesentlich beeindruckender gewesen waren als dieses, und die meisten waren von wahren Ungeheuern bewohnt, nicht wie diese Spielplatzmonster mit ihren Umhängen und falschen Zähnen. Im Licht der Morgensonne, die mittlerweile über South Beach erstrahlte, schien es nahezu unmöglich, deren halbstarke Partyspiele überhaupt ernst zu nehmen.
Nur war es überraschend schwierig, den Passagier hochzufahren. Und dabei brauchte ich seine leise Führung dringend, den Tarnmantel innerer Dunkelheit, den mir nur der Passagier zur Verfügung stellen konnte, aber trotz des kurzen warnenden Flatterns im Club schien sein Wutanfall noch nicht verraucht. Ich blieb auf der
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