Dexter
schürzte, sich die Stirn rieb. Ich wünschte, mir fiele eine ähnliche Zappelei ein, um mir die Zeit zu vertreiben, doch leider tat es das nicht. Die Vorstellung, dass wir beide versuchten, Bobby Acosta zu stellen und festzunehmen, behagte mir ganz und gar nicht. Er schien zwar nicht sonderlich gefährlich – aber das dachten die meisten Menschen auch von mir, und man sah ja, was ihnen das gebracht hatte.
Bobby mochte nicht tödlich sein – aber zu viele Dinge waren unklar oder blieben dem Zufall überlassen. Um ganz ehrlich zu sein, was manchmal unumgänglich ist, ging ich davon aus, dass auch die kleinste Chance auf Samanthas Schweigen verpuffen würde, falls ich erneut zu ihrer Rettung auftauchte.
Andererseits war mir durchaus bewusst, dass ich Deborah nicht im Stich lassen durfte. Das würde jede Regel brechen, die ich im Verlauf meines ruchlosen Lebens so sorgfältig erlernt hatte. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass der neue Dexter, Lily Annes Dad, der so schwer an seiner Menschlichkeit arbeitete, bei dieser Angelegenheit tatsächlich etwas
fühlte.
Ich fühlte mich für Deborah verantwortlich, wollte ihr jeden Schmerz ersparen, und wenn sie sich schon selbst einem Risiko aussetzte, wollte ich sie begleiten, um sie zu beschützen.
Ich befand mich in einer sehr seltsamen Situation: hin- und hergerissen zwischen der Sorge um Deborah und dem gleichzeitigen Bedürfnis, Samantha irgendwie aus dem Weg zu räumen – polare Gegensätze, die heftig an mir zerrten. Ich fragte mich, ob das bedeutete, dass ich mich exakt auf halber Strecke meiner Reise vom Dunklen Dexter zu Dex-Daddy befand. Dunkel-Daddy? Durchaus verheißungsvoll.
Plötzlich drosch Deborah mit beiden Händen aufs Lenkrad, was mich aus meinen ergreifenden Gedankengängen riss. »Gottverdammt«, fluchte sie. »Ich trau ihr kein scheiß bisschen.«
Ich fühlte mich gleich besser: Der gesunde Menschenverstand gewann die Oberhand. »Du fährst also nicht?«, erkundigte ich mich.
Deborah schüttelte den Kopf und ließ den Motor an. »Nein«, antwortete sie. »Natürlich fahre ich.« Sie legte den Gang ein und fädelte sich in den Verkehr. »Aber ich muss ja nicht allein fahren.«
Ich nehme an, ich hätte sie darauf hinweisen können, dass sie mit mir auf dem Beifahrersitz streng genommen nicht allein war. Doch sie gab bereits Gas und fuhr mit einem Tempo, bei dem mir angst und bange wurde, deshalb griff ich nur nach meinem Sicherheitsgurt und schnallte mich fest an.
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36
D ie Überzeugung mancher Menschen, gleichzeitig Auto fahren und mit dem Handy telefonieren zu können, habe ich stets als Ausdruck geistiger Beschränkung betrachtet. Doch auch Deborah zählte zu ihnen, und da Familie nun einmal Familie ist, sagte ich nichts, als sie das Handy herausholte. Die I 95 entlangrasend, hatte sie eine Hand am Steuer und wählte mit der anderen eine Nummer. Nur eine Taste, Kurzwahl also, und ich konnte mir denken, wen sie anrief, was bestätigt wurde, als sie zu sprechen begann. »Ich bin’s. Weißt du, wo Buccaneer Land liegt? Ja, im Norden. Okay, wir treffen uns so schnell wie möglich am Haupteingang. Bring Hardware mit. Lieb dich«, sagte sie und legte auf.
Es gab nur wenige lebende Personen, die Deborah liebte, und noch weniger, denen sie es eingestehen würde, weshalb ich überzeugt war zu wissen, wen sie angerufen hatte.
»Chutsky kommt?«, vergewisserte ich mich.
Sie nickte und steckte das Handy wieder ein. »Verstärkung«, erklärte sie und ergriff dann zum Glück für meinen Seelenfrieden das Lenkrad mit beiden Händen, um sich konzentriert durch den dichten Verkehr zu schlängeln. Die Fahrt über den Highway zu dem Ort, wo Buccaneer Land vor sich hin gammelte, dauert ungefähr zwanzig Minuten, doch Deborah schaffte es in zwölf. Sie flog mit einer Geschwindigkeit die Ausfahrt hinunter und dann über die Landstraße bis zum Haupteingang, die mir mehr als außerordentlich kühn erschien. Da Chutsky noch nicht dort war, hätten wir ein wesentlich vernünftigeres Tempo einschlagen und trotzdem in aller Ruhe auf ihn warten können. Doch Debs trat aufs Gas, bis die Tore in Sicht kamen, dann bremste sie endlich ab und bog in den Weg ein, der zum ehemaligen Haupteingang von Buccaneer Island führte.
Meine erste Reaktion war Erleichterung. Nicht nur, weil Deborah uns nicht umgebracht hatte, sondern weil Roger, der zehn Meter hohe Pirat, an den ich mich aus meiner Kindheit erinnerte, noch immer Wache stand. Seine leuchtenden
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