Dexter
ich Deborah zum letzten Mal gesehen hatte. Vor mir befanden sich etwa fünfzig Meter offenes, dunkles Gelände, das an einem kleinen Palmenhain endete. Der Hain auf einer Anhöhe über dem Wasser war nicht besonders groß, er bot gerade genug Platz, um ein paar kleinere Taliban-Einheiten zu verbergen, falls diese dort auf mich lauerten. Doch eine andere Deckung war nirgends zu sehen, deshalb löste ich mich von dem Auto und rannte in gebückter Haltung über die offene Fläche.
Die Schutzlosigkeit war ein furchtbares Gefühl, und die Überquerung der schattenlosen Fläche schien Stunden zu dauern, bis ich endlich den kleinen Hain erreichte. Ich verbarg mich hinter der ersten Palme. Im kläglichen Schutz des Stamms begann ich mir erneut Gedanken zu machen, was mich auf der anderen Seite erwartete. Ich umarmte den Baum und spähte angestrengt in das Wäldchen. Dort gab es jede Menge Gestrüpp und Unterholz, doch angesichts der dornigen, spitzen Zweige schien es als Versteck nicht besonders attraktiv. Ich konnte genug sehen, um überzeugt zu sein, dass zwischen den Palmen und Dornenbüschen nichts auf mich lauerte, aber da ich nichts von meinem Körperfleisch den Dornen opfern wollte, indem ich mich dort herumtrieb, begann ich mich von meinem Baum zu lösen, um nach einer besseren Deckung zu suchen.
In diesem Moment vernahm ich vom Fluss den unverwechselbaren Klang künstlichen Kanonendonners. Ich schaute in Richtung des Lärms, und unter dem Knarren zerrissener Segel und halb gesplitterter Spieren segelte das Piratenschiff um die Biegung.
Es war nur noch ein verfallener Schatten seiner selbst. Der Rumpf war löchrig, die jämmerlichen Reste der Segel flatterten traurig, weniger als die Hälfte der verblichenen Totenkopfflagge wehte noch am Mast, aber dennoch bewegte es sich stolz voran, genau wie in meiner Erinnerung. Die drei Kanonen auf meiner Seite feuerten erneut eine schwächliche Breitseite ab, und ich befolgte den Hinweis und warf mich in das Gestrüpp zwischen den Palmen.
Was zuvor als etwas erschienen war, das es unbedingt zu meiden galt, verhieß nun kostbare Sicherheit, und ich zwängte mich ins dichteste Gestrüpp. Beinahe umgehend verfing ich mich in den Ranken und wurde von Dornen gestochen. Ich versuchte, einer mich angreifenden Pflanze auszuweichen, und knallte mit dem Rücken schmerzhaft gegen eine ihren Namen zu Recht tragende Sägepalme. Als ich mich endlich befreit hatte, blutete ich aus mehreren Schnittwunden, und mein Hemd war zerrissen. Jammern nützte jedoch nichts, und zudem war ich überzeugt, dass niemand daran gedacht hatte, Heftpflaster mitzunehmen, deshalb krabbelte ich einfach weiter.
Ich kroch im Schneckentempo durch das Unterholz, wobei mehrere kleine, kostbare Stücke meines Körpers den fleischfressenden Büschen zum Opfer fielen, bis ich zum Rand des kleinen Waldes gelangte, wo ich mich hinter ein paar Palmwedel kauerte und zum Fluss hinunterspähte. Das Wasser kochte, als wäre es von einer Riesenhand unter der Oberfläche in kreisende Bewegung versetzt worden, dann beruhigte es sich allmählich und floss ruhig dahin, als handelte es sich um einen echten Fluss und nicht um einen künstlich erschaffenen Kreislauf.
Und dann erschien der Stolz von Buccaneer Land, der Schrecken der sieben Meere, das verruchte Schiff
Vengeance,
und legte an der alten, verrottenden Mole an, die direkt unter mir vom Ufer in den Fluss ragte. Das Wasser brodelte erneut und beruhigte sich dann wieder, und die
Vengeance
krängte ein wenig, riss sich jedoch nicht los. Und trotzdem von der schurkischen Mannschaft weit und breit nichts zu sehen war, befand sich mindestens ein Passagier an Bord.
Samantha Aldovar, an den Hauptmast gefesselt.
[home]
38
S amantha besaß nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Passagieren der
Vengeance,
an die ich mich aus meiner Kindheit erinnerte. Abgesehen davon, dass sie weder Zuckerwatte in der Hand hielt noch einen Piratenhut trug, hing sie einfach vornüber in den Seilen, vermutlich bewusstlos, vielleicht sogar tot. Von meinem kleinen Versteck auf dem Vorsprung hatte ich eine ausgezeichnete Sicht auf das Deck. Neben Samantha stand ein großer Grill, aus dem eine dünne Rauchsäule aufstieg; daneben ein Zwanziglitertopf auf einem Gestell und ein kleiner Tisch, auf dem mehrere vertraut wirkende Gegenstände scharf blitzten, sobald Licht auf sie fiel.
Einen Moment regte sich außer dem Rest der Totenkopfflagge am Mast gar nichts. Bis auf Samantha war das Deck leer.
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