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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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geflüchtet, ehe ich auch nur ein Wort sagen konnte. Und als ich endlich dazu gekommen war, die wichtige Aufgabe in Angriff zu nehmen, die Kinder dem Bösen zu entreißen, war ich am kritischen Punkt gestört worden. Jetzt waren die Kinder wütend auf mich, Rita ignorierte mich, und meine Schwester war eifersüchtig – und ich wusste noch immer nicht, worauf Brian es abgesehen hatte.
    Ich hatte, so gut ich es vermochte, daran gearbeitet, der neue und pieksaubere, gradlinige Familienmensch zu werden, der ich sein sollte, und bei jedem Versuch hatte man mich zurückgewiesen, höhnisch angefeixt und beinahe zerstört. In mir schwoll der Ärger und verwandelte sich in Zorn, und dann änderte sich auch das, als ich spürte, wie eisige, ätzende Verachtung in mir aufstieg; Verachtung für Brian und Rita und Deborah und Cody und Astor, für all diese sabbernden Idioten in der ganzen hohlköpfigen Welt …
    … und am meisten für mich. Dexter, den Dummkopf, der im Sonnenschein flanieren, an den Blumen riechen und Regenbogen betrachten wollte, die sich am rosenfarbenen Himmel wölbten. Doch hatte ich vergessen, dass die Sonne beinahe stets von Wolken verdeckt wird, Blumen Dornen haben und Regenbogen ewig unerreichbar sind. Man kann den unmöglichen Traum träumen, so oft man möchte, doch wenn man erwacht, ist er stets vorüber. Ich musste das auf die harte Tour lernen, jede neue Erinnerung daran drückte meine Nase tiefer und tiefer in den Dreck, und jetzt wollte ich nur noch irgendjemanden an der Kehle packen und zudrücken …
    Das monotone Leiern von Rita und den Kindern, die ihre Gebete aufsagten, drang aus dem Flur zu mir. Ich kannte die Worte noch immer nicht, nur ein weiterer ärgerlicher Hinweis, dass ich nicht wirklich Dex-Daddy war und vermutlich auch niemals sein würde. Ich hatte geglaubt, ich könnte der erste Leopard der Geschichte sein, der seine Flecken verlor, aber in Wahrheit war ich nur eine weitere streunende Katze, gezwungen, von Müll zu leben.
    Ich erhob mich. Ich musste mich einfach bewegen, versuchen, mich zu beruhigen, meine Gedanken sammeln, diese unheimlichen, nagelneuen Gefühle zähmen, ehe ich in einer Flut von Dummheit davongerissen wurde. Ich ging in die Küche, wo die Spülmaschine bereits summend das Geschirr säuberte. Hinter dem Kühlschrank klickte die Eismaschine. Ich ging in den Wirtschaftsraum, vorbei an Trockner und Waschmaschine. Überall, im gesamten Haus war alles sauber und funktional, diese ganzen Geräte häuslichen Segens, an Ort und Stelle, bereit, zu tun, was von ihnen verlangt wurde – alle bis auf mich. Ich war nicht dazu geschaffen, unter die Arbeitsflächen dieses oder irgendeines anderen Hauses zu passen. Ich war geschaffen für auf einer rasiermesserscharfen Klinge schimmerndes Mondlicht, das beruhigende Reißen von Paketband, das sich von der Rolle wickelt, das erstickte Grauen der Bösen in ihren ordentlichen, sorgsam angelegten Fesseln, wenn sie ihren Erlöscher treffen …
    Doch hatte ich dem den Rücken gekehrt, mich abgewandt von allem, was ich in Wirklichkeit war, versucht, mich in ein Bild von etwas einzufügen, das nicht einmal existierte, als würde man einen Dämon auf das Cover der
Saturday Evening Post
pressen, und ich hatte nichts erreicht, außer einen vollkommenen Narren aus mir zu machen. Kein Wunder, dass Brian mir so mühelos die Kinder nehmen konnte. Ich würde sie niemals der Dunkelheit entreißen, wenn ich ihnen keine überzeugende Vorstellung tugendhafter Normalität liefern konnte.
    Doch wie konnte ich angesichts der ungeheuren Bösartigkeit der Welt meine strahlende Klinge zu stumpfen, funktionalen Pflugscharen schmieden? Es gab noch so viel zu tun, so viele Pausenhoftyrannen, die die neuen Regeln des Spiels lernen mussten, Dexters Regeln – sogar in meiner eigenen Stadt liefen Kannibalen frei herum. Durfte ich wirklich auf meinem Sofa sitzen und stricken, während sie ihre grauenhaften Begierden an den Samantha Aldovars dieser Welt auslebten? Immerhin war sie eine Tochter, und irgendjemand empfand für sie das, was ich für Lily Anne empfand.
    Und bei diesem Gedanken schoss rotglühender Zorn in mir hoch, und meine sorgsame Selbstkontrolle ging in Flammen auf.
Es hätte Lily Anne sein können.
Irgendwann konnte dieser Fall eintreten, und ich tat nichts, um sie zu beschützen. Ich war ein Narr, der sich selbst betrog. Ich wurde von allen Seiten angegriffen und ließ es einfach zu. Ich erlaubte den Raubtieren, sich anzuschleichen und

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