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Dexter

Dexter

Titel: Dexter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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zuzuschlagen, und falls sie eines Tages Jagd auf Lily Anne machten – oder Cody und Astor –, wäre es meine Schuld. Es lag in meiner Macht, meine Familie vor einer widerwärtigen Welt zu schützen, aber stattdessen tat ich so, als hielten freundliche Gedanken den Drachen fern, während er in Wirklichkeit vor meiner eigenen Haustür brüllte.
    Ich stand an der Hintertür und blickte durch die Scheibe in die Dunkelheit des Gartens. Die Wolken waren dichter geworden und verdeckten den Mond, tauchten alles in Finsternis. Das war es, ein vollkommenes Abbild der Wirklichkeit; reine Dunkelheit, die einige Flecken vergilbtes Gras und Erde barg. Nichts funktionierte. Nichts hatte je funktioniert, für niemanden, nirgends. Alles war Dunkelheit, Verfall und Schmutz, und die Illusion, es gäbe noch etwas anderes, trug einem nichts als Kummer ein, und es gab nichts, was man dagegen tun konnte. Gar nichts.
    Doch die Wolkendecke öffnete sich und ließ einen zarten Mondstrahl hindurchtropfen, um die Dunkelheit zu erhellen, und das zischelnde Wispern kitzelte und lockte wieder:
Eine Sache gibt es …
    Und dieser simple Gedanke schien das Sinnvollste der Welt.
     
    »Ich komme gleich wieder«, versicherten wir Rita, die mit dem Baby auf dem Schoß auf dem Sofa saß. »Ich muss noch mal zur Arbeit.«
    »Gleich wieder?«, plapperte sie verwirrt. »Du meinst, du fährst … Aber es ist mitten in der Nacht!«
    »Ja«, stimmten wir zu, und bei dem Gedanken an die einladende samtige Dunkelheit direkt vor der Haustür ließen wir das eisige Schimmern unserer Zähne sehen.
    »Ja, aber solltest du nicht … Kann das nicht bis morgen warten?«
    »Nein«, erwiderten wir, und die selige Verrücktheit hallte in unserer Stimme wider. »Es kann nicht warten. Ich muss es heute Nacht erledigen.«
    Offensichtlich zeigte sich die Wahrheit dessen in unserer Miene. Rita runzelte die Stirn, sagte aber nur: »Nun, ich hoffe, du … Oh! Der Windeleimer ist voll, und er … Könntest du den Beutel mit rausnehmen und …« Sie sprang auf und lief in den Flur, und angesichts der Verzögerung wallte eisiger Zorn in mir auf, doch war sie sekundenschnell zurück, in der Hand einen Müllbeutel. Sie drückte ihn mir in die Hand und sagte: »Wenn du auf dem Weg nach draußen … Musst du wirklich noch mal … Ich meine, es wird doch nicht zu spät? Weil, ich meine, fahr vorsichtig, aber …«
    »Es wird nicht lange dauern«, sagten wir, und dann überwältigte uns die Ungeduld, und wir waren draußen in der einladenden Nacht mit den dünnen Mondstrahlen, die durch die Wolken stachen und eine wundervolle Sache verhießen, die all das verkrampfte Elend hinwegspülen konnte, das es bedeutet, wenn wir versuchten, etwas zu sein, das wir nicht waren und niemals sein würden. Mittlerweile in Eile, warfen wir den Müllbeutel zu unserem Spielzeug auf den Boden vor dem Rücksitz und stiegen in den Wagen.
    Wir fuhren nordwärts durch den dünnen Verkehr, nach Norden zur Arbeit, genau wie wir gesagt hatten, aber nicht zur alltäglichen Arbeit in Büro und Chaos; wir eilten einer wesentlich angenehmeren Aufgabe entgegen, ließen die Dumpfheit hinter uns und bewegten uns auf das Entzücken zu, am Flughafen vorbei, auf die Schnellstraße nach North Miami Beach, und dann langsamer, aufmerksam dem Pfad unserer Erinnerung folgend, zu einem gewissen kleinen, blassgelben Haus in einem bescheidenen Viertel.
    Der Club macht nicht vor elf auf,
hatte Deborah gesagt. Wir fuhren langsam vorbei und sahen Lichter brennen, innen und außen, und ein Auto in der Einfahrt, das zuvor nicht dort gestanden hatte. Natürlich, der Wagen der Mutter, völlig einleuchtend – tagsüber fuhr sie damit zur Arbeit. Näher am Haus, halb in den Schatten, parkte der Mustang. Er war noch hier. Es war kurz vor zehn, und die Fahrt nach South Beach dauerte nicht lang. Er würde im Haus sein, sich seiner unverdienten Freiheit erfreuen, überzeugt, dass in seiner kleinen Welt wieder alles zum Besten stand, und genau so wollten wir es. Wir hatten noch viel Zeit, und wir spürten die eisige und angenehme Gewissheit, dass wir nicht enttäuscht werden würden.
    Wir fuhren einmal um den Block und hielten nach Hinweisen Ausschau, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte, und entdeckten nichts. Alles war ruhig und sicher, und alle kleinen Häuser waren sicher und erleuchtet und vor den rasiermesserscharfen Reißzähnen der Nacht verriegelt.
    Wir fahren weiter. Vier Blocks weiter steht ein Haus, in dessen

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