Dexter
drei Metern Entfernung zu erkennen. Selbst ich spürte einen Hauch von Mitgefühl mit dem Mann, als ich dort stand und auf die Überreste des unerfreulichen und lächerlich gutaussehenden Ex-Partners meiner Schwester hinabschaute.
»Wir haben das hier gefunden«, sagte Deborah, die neben mir auftauchte und einen Indizienbeutel mit einem Blatt schlichten weißen Papiers darin hochhielt. An einer Ecke befanden sich rotbraune Blutflecken. Ich nahm ihr den Beutel ab und sah genauer hin: Auf dem Blatt stand eine kurze Nachricht, geschrieben in einer großen, verschnörkelten Schrift, die von jedem PC der Welt stammen mochte. Die Botschaft lautete:
Er war anderer Meinung als jemand, der ihn gegessen hat.
»Mir war gar nicht bewusst, dass Kannibalen Humor haben«, sagte ich. Deborah starrte mich an, und die leichte Verzweiflung, mit der sie in letzter Zeit gekämpft hatte, schien in ihrem Gesicht zu glühen.
»Ja. Sehr komisch. Besonders für jemanden wie dich, der solche Dinge genießt.«
»Debs«, mahnte ich und vergewisserte mich mit einem raschen Blick über die Schulter, ob jemand sie gehört hatte. In direkter Hörweite war niemand zu sehen, aber nach ihrer Miene zu urteilen, bezweifelte ich, ob sie das interessierte.
»Und darum brauche ich dich jetzt hier, Dexter«, fuhr sie fort, und jetzt lag wirklich Feuer in ihrer Stimme, die immer lauter wurde. »Weil ich die Geduld mit diesem Scheiß endgültig verloren habe und mir die Partner ausgehen – und Samantha Aldovar die Zeit davonläuft und ich diesen Scheiß unbedingt begreifen muss …« Sie verstummte und holte keuchend Luft, ehe sie in leiserem Tonfall weitersprach. »Damit ich diese Arschlöcher finden und wegsperren kann.« Sie bohrte ihren Finger in meine Brust und wurde noch leiser, ohne jedoch an Intensität einzubüßen. »Und das ist der Moment, in dem du ins Spiel kommst.
Du
«, bohr, bohr, »wirst dich in Trance versetzen oder mit deinem spirituellen Führer reden oder dein Ouija-Brett benutzen – wie auch immer du es anstellst«, und sie stach bei jeder Silbe mit dem Finger zu, »und zwar jetzt.«
»Deborah, bitte«, sagte ich. »So einfach ist das nicht.« Meine Schwester war die einzige lebende Person, mit der ich versucht hatte, über meinen Dunklen Passagier zu reden, aber ich glaube, sie hat meine unbeholfene Beschreibung der wispernden Beinahe-Stimme, die in den Kellern direkt unter meinem Bewusstsein lauerte, absichtlich missverstanden. Selbstverständlich hatte diese mir in der Vergangenheit gelegentlich gute Dienste erwiesen, aber Deborah stellte sie sich offenbar als eine Art Dunklen Sherlock vor, den ich nach Lust und Laune heraufbeschwören konnte.
»Dann mach es so einfach«, erwiderte sie, wandte sich ab und ging zurück zur Absperrung.
Es war noch gar nicht so schrecklich lange her, dass ich mich glücklich geschätzt hatte, Familie zu haben. Nun war ich innerhalb einer einzigen Nacht von meiner Frau und den Kindern ignoriert, von meinem Bruder verdrängt und von den unmöglichen Erwartungen meiner Schwester in eine Spätschicht getrieben worden. Meine liebende Familie – für einen anständigen Marmeladen-Doughnut hätte ich sie sämtlich verkauft.
Doch war ich nun einmal hier und musste es versuchen. Deshalb holte ich tief Luft und bemühte mich, meine neu erworbenen Gefühle zu unterdrücken. Ich stellte meinen Koffer ab und kniete mich neben die geschändete Leiche von Deke Slater, untersuchte sorgfältig die Wunden im Gesicht und an den Armen, die fast mit Sicherheit von menschlichen Zähnen verursacht worden waren und geblutet hatten – was bedeutete, dass sein Herz zu diesem Zeitpunkt noch schlug. Bei lebendigem Leib gegessen.
Von der Stelle, an der der Pflock in den Brustkorb getrieben worden war, liefen Blutspuren über den gesamten Torso, ein Hinweis, dass er danach zumindest noch kurz gelebt hatte. Vermutlich hatte das Blut sein Hemd durchtränkt, weshalb sie es entfernt hatten. Vielleicht aber gefielen ihnen auch nur seine Bauchmuskeln. Was erklären würde, warum ein paar Bissen fehlten.
Um die Bissspuren am Bauch fanden sich schwachbraune Flecken: Ich hielt sie nicht für Blut, und nach einem Moment erinnerte ich mich an das Zeug, das wir in den Everglades entdeckt hatten. Der Partydrink aus Ecstasy und Salvia. Ich nahm die Utensilien zur Probenentnahme aus meinem Koffer, wischte sorgfältig über die braunen Flecken und steckte den Bausch in einen Indizienbeutel.
Mein Blick wanderte nach oben zu der
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